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PLUS! · WERKE FÜR KLARINETTENDUO UND AKKORDEON Im Repertoire des Klarinettenduos Beate Zelinsky und David Smeyers macht das Zusammenwirken mit anderen Solisten oder Ensembleformationen einen wichtigen Teil aus. Dabei ist die Kombination mit dem Akkordeon von besonderem Reiz: Das Instrument kann mittels Registrierung mit dem Klang der Klarinetten zu (fast) vollkommener Einheit verschmelzen, es kann aber auch aus diesem Klangverbund deutlich wahrnehmbar heraustreten. Jukka Tiensuus Komposition Plus IV ist ursprünglich für Klarinette, Akkordeon und Violoncello konzipiert; die Fassung mit Bassklarinette anstelle des Cellos wurde von David Smeyers in Absprache mit dem Komponisten eingerichtet. Das Klangbild wird dadurch geschlossener, und dennoch bleibt die Musik – aufgrund der feinen Differenzen von Timbre und Lage – vollkommen transparent. Das Material ist zunächst begrenzt – Terz- und Sekundmotive, Repetitionen, Oktavsprünge. Die Notation deutet auf ein Unisono hin – tatsächlich aber sind die Ausführenden gehalten, die Musik in einer Art improvisiertem Kanon vorzutragen; Ziffern in den Noten geben die Einsatzfolge vor. Diese wechselt abschnittsweise, getrennt durch Generalpausen: eine Art auskomponierte Selbstorganisation des Ensembles. Dieses »Vorspiel« nimmt etwa ein Viertel der Komposition in Anspruch, danach tritt die – nun wieder »konventionell« notierte – Partitur in ihre angestammte Rolle, das Zusammenspiel der Instrumente zu regeln. Dadurch erst gewinnt die Musik Freiheit zu bruchloser Entfaltung, sie gewinnt an Kohärenz, der melodische Ambitus erweitert sich, in der Akkordeonstimme kommen Akkorde und Cluster ins Spiel, Synkopen, Triolen, Quintolen verleihen dem Ganzen bei von Anfang bis Ende durchgehaltenem 4/4-Takt rhythmische Lebendigkeit und sogar einen gewissen Swing. Das Ganze mündet in eine ekstatische Stretta in atemlos jagender Sechzehntelbewegung. Erst in den letzten rund 30 Takten nimmt die Dichte ab, mit einem kurzen, gleichsam natürlichen Verlöschen endet die Musik. Die Komposition Songs and Melodies von Nikolaus Brass wurde für Das Klarinettenduo und Krisztián Palágyi geschrieben. Sie verweist schon im Titel auf den Fundus kollektiv geteilter musikalischer Überlieferung, wobei die »Melodie« als horizontale Linie gleichsam der Urstoff ist, die im fertigen Liedsatz durch die Vertikale, die Harmonie, ergänzt wird. Diese beiden Dimensionen entsprechen dem verwendeten Instrumentarium: Klarinetten als Melodieinstrumente, Akkordeon eben als Akkord-Instrument (in harmonischer und rhythmischer Funktion). Jenseits dessen geht es dem Komponisten aber um Elementareres als tradierte Melodiemodelle: Es ist das »Melische« schlechthin, noch vor der Verfestigung in Melodie und (tonale) Harmonie. Und dazu gehören dann auch die Mikrotöne, die ein zentrales Element der Komposition sind. Ta-Ryong bezeichnet in der traditionellen koreanischen Musik »das Wiederholen eines Grundrhythmus in einem immer wiederkehrenden Vierer- oder Sechsermetrum« (Younghi Pagh-Paan). »Er leiert ein Ta-Ryong«: So sage man, wenn sich jemand beständig wiederholt. Indessen, so die Komponistin, sei gerade die »nahezu unbegrenzte Variierungsfähigkeit dieser immer gleichen Grundlage« der Reiz, anzutreffen vor allem in der koreanischen Bauernmusik Nong-Ak. Damit wird ein assoziativer Zusammenhang aufgerufen, der von den Kindheitserinnerungen der Komponistin (die Märkte, bei denen neben den Musikern auch Akrobaten, Tänzer und Schauspieler auftraten) bis zum widerständigen Potential des Nong-Ak reicht. Denn diese Musik aus dem Volk und für das Volk (Younghi Pagh-Paan beschreibt sie als »spontanes Musikmachen in Gruppen«) wurde auch von den Studenten im Widerstand gegen die südkoreanische Militärdiktatur der 1960er und 1970er Jahre aufgegriffen. Auch daran will die Komponistin mit ihrer bisher sechs Stücke umfassenden Werkreihe Ta-Ryong erinnern. Georg Katzer hat seine Komposition drängend, zögernd, entschwindend aus dem Jahr 2007 ursprünglich für Klarinette, Violoncello und Akkordeon bestimmt. Die Einrichtung des sehr instrumentenspezifisch konzipierten Celloparts für die Bassklarinette nahm Katzer in Zusammenarbeit mit David Smeyers vor; sie ist eine seiner letzten vollendeten Arbeiten. Die Vielfalt und der rasche Wechsel der Klangfarben, Spieltechniken, Artikulationsweisen ist ein Charakteristikum der Komposition und hat unmittelbar mit dem Titel zu tun. Flageoletts, Triller und Tremoli, extreme Lagen, extreme Dynamik, vieltönige Akkorde und Cluster, Multiphonics (auch mit Triller), lange und kurze Glissandi, Mikrotöne, häufige Taktwechsel, aber auch Passagen ohne Metrum: Der Hörer wird mit einer Überfülle an Information konfrontiert (die Vortragsbezeichnung lautet »hyperaktiv«), die Ausführenden hingegen mit einer ebenso schwierigen wie dankbaren Aufgabe. Denn es ist auch ein effektvolles, hochvirtuoses Musikstück. Rahmend, trennend und zugleich verbindend, begleiten fünf der Zweistimmigen Inventionen von Johann Sebastian Bach die vier neuen Werke, und zwar mit einer hinzukomponierten dritten Stimme. Vier dieser Bearbeitungen stammen aus der Schule des Triospiels, die Max Reger und Karl Straube jungen Organisten zugedacht hatten, um die Unabhängigkeit der beiden Hände und der Füße zu üben. Hier ist jeweils zwischen die beiden Themeneinsätze des Originals eine dritte, mittlere Stimme eingefügt. In der Ausführung mit zwei Klarinetten und Akkordeon gewinnt die sehr dichte Polyphonie auf verblüffende Weise an Durchhörbarkeit. Anders verfährt Helmut Lachenmann in seiner Bearbeitung der d-Moll-Invention: Er öffnet den Satz, indem er eine Oberstimme hinzufügt, die auch erst nach den beiden Themeneinsätzen des Originals einsetzt, und bewahrt so die Transparenz der Musik. Ingo Dorfmüller Programm: Johann Sebastian Bach (1685–1750) Jukka Tiensuu (*1948) Johann Sebastian Bach Nikolaus Brass (*1949) Johann Sebastian Bach Younghi Pagh-Paan (*1945) Johann Sebastian Bach Georg Katzer (1935–2019) Johann Sebastian Bach total playing time: 63:23 Das Klarinettenduo Beate Zelinsky | David Smeyers Krisztián Palágyi, accordion |