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Wolfgang Rihm: Piano Pieces

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Artikelnummer: NEOS 10717/18 Kategorien: ,
Veröffentlicht am: Mai 20, 2008

Infotext:

DAS KLAVIERWERK VON WOLFGANG RIHM

Mein erster Kontakt mit der Klaviermusik Wolfgang Rihms ergab sich relativ spät. Vor ungefähr acht Jahren hörte ich in einem Konzert das Klavierstück 5 ›Tombeau‹. Ich war spontan hingerissen von der dunklen Wucht dieser Musik. Wie ein Aufschrei, ein finsteres Aufbegehren, mit drei Ausrufungszeichen danach … Die starke architektonische Konzeption des Werks mit den zwei Rahmenteilen, die – jeder auf ganz eigene Art – wie zwei Ruhepole den himmelstürmenden Mittelteil festzuhalten versuchen, hat sich mir damals eher unbewusst mitgeteilt.

Ganz unmittelbar jedoch war die Wirkung, die vom Kontrast des ersten ›bis zum Verklingen‹ gehaltenen C und den darauf folgenden Eruptionen ausging. Eindrucksvoll wirkten auch die abschließenden C-Oktaven, ein trotziges Beharren bei angehaltener Luft nach Minuten ungebremster frenetischer Besessenheit, die den Pianisten an den Rand der Erschöpfung bringen.

Ohne den Versuch einer Katalogisierung des Rihm‘schen Œuvres vorzunehmen, will ich im Folgenden einige Aspekte näher beleuchten, die mich bei Rihm ganz besonders faszinieren. Der erste Aspekt ist ein sehr offensichtlicher: die ungeheure kinetische Energie, die sich beim Spielen dieser Musik entlädt. Sie entsteht aus der Geste, sie geht ganz in der Geste auf. Vielleicht sogar noch extremer als im Klavierstück 5 ist das Klavierstück 7 Bühne einer bis zur Gereiztheit aufgeladenen Gestik. Hier wird eine einzige kurze Figur wie in einem Strudel ihrer eigenen Magnetkraft ausgesetzt.

Die Akzente verschieben sich, der Takt löst sich auf, bis in wahnwitzigen Trillerketten ein Ufer herbeigesungen werden soll. Es kommt in Sicht – und schwindet wieder. Kurz vor Schluss triumphiert die Musik in Es-Dur. Ein hart erkämpfter Triumph! Das Es-Dur ist wie ein Anschreien gegen die durchlittenen Wogen des Wahns. Zum Schluss ersteht eine Schattenwelt, ›come una aria‹, wortkarg und ekstatisch-starr, bevor die Musik ihren früheren Gestus wieder aufnimmt und in den Orkus herabstürzt.

Diese zweite Wirklichkeit, die Welt der Schatten und der Stille, ist die bei Rihm weit weniger offensichtliche, aber dennoch das Gegenbild der offensiven Energetik seiner Musik, das ihr räumliche Tiefe verleiht. Schon im  Klavierstück 7 vollzieht sich die Musik weitgehend auf zwei dynamischen Ebenen, die durch die kurze Sechzehntel im dreifachen sforzato und die direkt darauf folgende punktierte Achtel im dreifachen piano vorgegeben sind. In der Nachstudie werden indirekte Klangwirkungen noch eindrucksvoller ausgenutzt, am deutlichsten durch die Nachklänge stumm gedrückter, im mittleren Pedal gehaltenen Töne, aber auch durch rhetorische Pausen und einem Innehalten des Gesangs. Die Passagen, in denen eigentlich nichts passiert, werden hier zum entscheidenden Ausdrucksmoment.

Am Klavierstück 4 fasziniert mich seine Poesie, ganz im romantischen Sinn. Obwohl das Werk formal noch dem Strukturalismus der frühen Klavierstücke anhängt, wird hier eine Melodik zelebriert, die stellenweise an Chopin erinnert. Für mich war dieses Stück eine der großen Entdeckungen der letzten Jahre! Ähnlich verhält es sich mit Zwei kleine Schwingungen, zwei sehr viel später entstandenen kurzen Stücken, slow und calmo betitelt. In beiden Miniaturen wird auf kleinstem Raum größte lyrische Dichte erreicht. Eine Traum-Musik, die frei von jeder Schwere ist und nur der Poesie verpflichtet bleibt.

Assoziations- und Zitattechniken sind bei Rihm wesentliche, immer wiederkehrende Mittel der ästhetischen Reflexion. Wilhelm Killmayer hat eindrucksvoll gezeigt, wie im Klavierstück 6 ›Bagatellen‹, ähnlich wie in bestimmten Gedichten Hölderlins ein Kreisen um bestimmte Lautbilder/Klangbilder zur Grundlage neuer Entwicklungen gemacht wird. Der Untertitel Bagatellen ist deswegen so treffend, weil er an Beethoven erinnert, der sich in seinen späten Bagatellen genau dieses Verfahren zu eigen gemacht hat.

In der Mitte dieses Stückes wird der Anfang des letzten Klavierstückes aus Opus 118 von Brahms zitiert. Der Brahmsliebewalzer erweist diesem Komponisten nicht nur im Titel Ehre. Er spürt – »nicht schnell, eher schwer, oft dumpf, nie heiter, vielleicht verdrossen, säuerlich, aber ernst« – mit jeder Faser dem verblichenen Andenken des großen Romantikers nach, ohne dass dies je vollkommen gelingen kann. Der Ländler ist ganz dem Geiste Schuberts verpflichtet, er vergeht, wie er begonnen hat – unerlöst.

Viele der späteren Stücke Rihms sind Dedikationen: Auf einem anderen Blatt ist Pierre Boulez zu dessen 75sten Geburtstag gewidmet; in Zwiesprache werden fünf engen Freunden, die der Komponist im Entstehungsjahr verlor, posthume Denkmäler gesetzt; Wortlos ist zum 60sten Geburtstag von Peter Sloterdijk entstanden. Dieses letzte Werk ist als ›Lied ohne Worte‹ mit einem eigenen System für eine Gesangsstimme geschrieben, die jedoch nie einsetzt. Rihm schrieb mir dazu: »Zwei musikalische Momente, zwischen Wien und Paris – 1820 und 1905 – wie hinter Glas zu spielen.«

Die beiden frühen Klavierstücke 1 und 2, beide noch ganz altmodisch mit Opuszahlen versehen, sind in einer Zeit entstanden, in der Struktur und Ordnung oberstes Gebot waren. Ich liebe beide Werke sehr, weil beide ihre kapriziöse, freiheitliche Natur, die sich gegen jede Doktrin sträubt, kaum verhehlen können. Mit den ersten beiden Klavierstücken beginnt nun diese Sammlung, die sich über insgesamt 38 Jahre im Schaffen von Wolfgang Rihm erstreckt und innerhalb von fast zweieinhalb Stunden die verschiedensten Facetten des Rihm‘schen Kosmos zeigt. Nicht enthalten sind kleinere Kompositionen vor 1970 sowie  2 Linien, ein ›work in progress‹, das, wie Rihm schreibt, »unabgeschlossen – unabschließbar« gedacht ist.

Markus Bellheim

Programm:

CD 1

[01] 13:07 Klavierstück Nr. 1 op. 8a (1970)

14:35 Klavierstück Nr. 2 op. 8b (1971)
[02] 06:02 I.
[03] 00:12 II.
[04] 05:16 III.
[05] 03:04 IV.

14:32 Klavierstück Nr. 4 (1974)
[06] 01:50 I. poco rit. – sehr langsam
[07] 01:16 II. ruhig, keine Temposchwankung, fast starr
[08] 01:49 III. mäßig schnell, sehr frei
[09] 01:09 IV. etwas schnell
[10] 01:30 poco rit. – sehr langsam
[11] 01:37 Var. 1
[12] 03:35 Var. 2

[13] 01:46

09:58 Klavierstück Nr. 5 ›Tombeau‹ (1975)
[14] 01:55 I.
[15] 05:25 II. Ciacona

[16] 02:38 III. Quasi Corale

[17] 14:33 Klavierstück Nr. 6 ›Bagatellen‹ (1977/78)

[18] 08:23 Ländler (1979)

Gesamtzeit: 75:59

 

CD 2

[01] 09:20 Klavierstück Nr. 7 (1980)

[02] 03:16 Brahmsliebewalzer (1985)

[03] 26:03 Nachstudie (1992/94)

16:46 Zwiesprache (1999)  16:46
[04] 03:16 A. Schlee in memoriam
[05] 03:57 P. Sacher in memoriam
[06] 03:26 H. Klotz in memoriam
[07] 03:58 H. H. Eggebrecht in memoriam

[08] 02:10 H. Wiesler in memoriam

[09] 02:53 Auf einem anderen Blatt (2000)

03:50 Zwei kleine Schwingungen (2004/05)
[10] 01:50 slow
[11] 02:00 calmo

05:24 Wortlos (2007)
[12] 03:06 langsam

[13] 02:18 noch langsamer

Gesamtzeit: 68:37

Markus Bellheim, Klavier

Pressestimmen:

 


1/2009

 


11.12.2008

DIE ZEIT – Mitarbeiter empfehlen CDs, DVDs und Musikbücher

Frank Hilberg: Zu einem repräsentativen Bündel geschnürt

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Markus Bellheim
NEOS 10717/18

Große Brocken, kleine Schmanerl. Das Gesamtwerk von Rihm bietet enorme Vielfalt und bleibt doch immer wieder – Rihm.

 

Applaus 11/2008

Diverdi 11/2008

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