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John Cage: ONE – ONE2 – ONE5

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Artikelnummer: NEOS 11043 Kategorien: ,
Veröffentlicht am: Oktober 15, 2010

Infotext:

Timing by Numbers
John Cages »Number Pieces« für Klavier

Fast der gesamte Output in John Cages Werk der letzten Jahre (1987–92) besteht aus den sogenannten Number Pieces. Der Titel (eine ausgeschriebene Zahl) bezieht sich schlicht auf die Anzahl der Aufführenden. Wo es mehrere Stücke für dieselbe Anzahl von Mitwirkenden gibt, lässt die zusätzliche Nummerierung erkennen, das wievielte Stück für diese Ensemblegröße (stets völlig unabhängig von der Art der Besetzung) hier vorliegt.

Beginnend im April 1987 mit TWO für Flöte und Klavier, hinterließ Cage derart einen späten Œuvre-Katalog von 48 vollendeten Number Pieces. Für die höchst pragmatische Vorgehensweise bei der Betitelung gab es auch simple praktische Gründe: Der Bedarf der Interpreten an neuen Cage-Stücken war immens, und in der schlichten Nummerierung lag eine zusätzliche Vereinfachung vor zu dem von seinem langjährigen Assistenten entwickelten Computerprogramm, das Cage die sehr schnelle und effiziente Produktion neuer Stücke ermöglichte.

Das kompositorische Verfahren der Number Pieces kombiniert weitgehende Indetermination mit mindestnötiger Festlegung. Was fest steht, ist die Reihenfolge der Töne innerhalb eines Systems, ihr Stärkegrad, sowie die die absolute Dauer der einzelnen Abschnitte festlegende Zeitklammer (Time Bracket). Die Zeitklammern ihrerseits sind feststehend oder flexibel: eine feststehende Klammer definiert den Zeitraum zwischen frühestmöglichem Beginn und spätestmöglichem Ende des Abschnitts; eine flexible Klammer hingegen besteht aus zwei Karenzzonen: einer, innerhalb welcher zu beginnen ist, und einer, innerhalb welcher der Abschnitt abzuschließen ist. Folge der Verwendung flexibler Zeitklammern ist zumeist eine Überlappung der aufeinanderfolgenden Abschnitte.

Die Tondauern und die Geschwindigkeit der Abfolge für die Dauer der Klammer ist dem Spieler überlassen. Innerhalb der Zeitklammern verlaufen die Stimmen unabhängig voneinander, also beim Pianisten die rechte und die linke Hand (theoretisch kann die eine Hand ihren gesamten Tonvorrat aufbrauchen, bevor die andere auch nur einen Schritt gemacht hat). Das Tonmaterial ist per gesteuertem Zufallsprinzip generiert. Die Absicht ist Zufall, bzw. der Zufall ist Absicht.

In welcher Beziehung stehen diese Klänge zueinander? Cage hat immer wieder betont, dass es hier nicht um die Überbrückung der Stille durch das »musikalische« Aufeinanderbeziehen der Klänge geht, sondern um die Mitwirkung der Stille. Man kann auch folgern: um die »Interaktion« von Ereignislosigkeit und Ereignis, von Nichts und Etwas auf der Folie der vergehenden Zeit. Das nicht Wahrnehmbare ist ebenso zu vergegenwärtigen wie das Wahrgenommene.

Dadurch wird der Hörprozess in eine Art spielerische Abstraktion hineingesteuert, die für die Gemeinschaft der Hörenden eine Öffnung für die Absichtslosigkeit des zeitlichen Verlaufs bedeuten kann. Es spielt keine Rolle, ob etwas passiert, denn es findet keinerlei Identifikation mit den wahrgenommenen Objekten statt, und eine Beziehung dieser Objekte untereinander (Tonalität) will nicht aufgebaut werden. Alles bleibt unvorhersehbar, der Hörer bleibt »bei sich« und ist zugleich ein »Lauschender«, doch in emotionaler Neutralität hinsichtlich der an die sich in seiner Affektwelt aufbauen wollenden Beziehungen zwischen den Objekten.

Mehr als naheliegend ist aus dieser Perspektive, dass Cage eine solche Affinität zu Erik Satie hegte, zu dessen Musiques d’ameublement: »Hört nicht zu! Geht umher und redet laut!« Cage will den Hörer gerade nicht auffordern, dem mit den Klängen ausgelösten Prozess zu folgen. Nein, taste dich auf dem Boden der Stille von Objekt zu Objekt, denn »nichi nichi kore ko nichi!« (jeder Tag ist ein schöner Tag). Auch wenn keine oder nur spärliche Spielanweisungen vorliegen, sollte man vor Augen haben, dass Cage in späten Jahren die Nähe zur Stille allem Lärmenden vorzog – dies sozusagen eine affektive Entsprechung zur »Absenz von Platz und Ort«, die er im einzig vorausgesetzten Kontinuum seines Komponierens, der Zeit, aufsuchte.

ONE für Klavier solo ist 1987 als eines der ersten Number Pieces entstanden und dem chilenischen Komponisten Juan Allende-Blin gewidmet. Die zeitliche Regulierung der Ereignisse ist hier sehr einfach durch feststehende Zeitklammern vorgenommen. Doch da dem Musiker innerhalb derselben freigestellt ist, wann er beginnt und wann er schließt sowie in welcher Beziehung rechte und linke Hand zueinander stehen, kann das klingende Ergebnis maximal unterschiedlich sein.

Im Extremfall bedeutet das entweder, dass er sehr spät beginnt und sehr schnell zu Ende kommt, wodurch eine schnelle Abfolge der Ereignisse von langen Pausen umrahmt ist und die einzelnen Abschnitte deutlich voneinander abgegrenzt werden; oder er beginnt sofort und nutzt die gesamte Dauer der Zeitklammer aus, um die Klangereignisse möglichst gleichmäßig darauf zu verteilen, wodurch die Abschnitte pausenlos ineinander übergehen und keine Grenzen mehr wahrnehmbar sind.

ONE2, 1989 für 1–4 Klaviere geschrieben, ist der Pianistin Margaret Leng Tan, der ausgewiesenen Interpretin von John Cage und George Crumb, gewidmet. Bei diesem Stück sind vier Klaviere im Raum verteilt positioniert. Bei allen ist das Haltepedal arretiert, wodurch die Saiten stets natürlich ausschwingen und die Töne bis zur Unhörbarkeit weiterklingen. Der Spieler geht von Instrument zu Instrument: am 1. Klavier hat er 17, am zweiten 19, am dritten 17 und am vierten 15 Abschnitte (alle als Zeitklammern notiert) zu absolvieren.

An jedem der Instrumente ist die Reihenfolge der Abschnitte unveränderlich, doch wann der Pianist sich vom einen zum nächsten Instrument begibt, liegt in seiner Hand. Das eine Extrem der Darstellung wäre, jeweils sämtliche Abschnitte eines Instruments durchzuspielen, bevor das nächste an die Reihe kommt. Das andere Extrem besteht darin, kontinuierlich alle vier Instrumente durchzuwechseln. Jede der vier Stimmen, die sich allein durch ihre räumliche Position voneinander abheben, beinhaltet einen Moment, in welchem der Musiker einen dem Instrument fremden Klang hinzufügt (Cage nannte als anregendes Beispiel einen Brummkreisel).

ONE5, erstellt im Mai 1990, ist dem Musikwissenschaftler Ellsworth Snyder, dem Verfasser der ersten Dissertation über Cages gesamtes Œuvre, zugeeignet. Hier hat Cage der Unabhängigkeit der beiden Systeme (also der rechten und linken Hand) voneinander eine umfassendere Größenordnung gegeben, indem jede Hand ihre eigenen Zeitklammern hat, wodurch sich die Phasen der rechten und der linken Hand stets überlappen.

Im Gegenzug ist die Ereignisdichte minimalisiert: bei rund 20 Minuten vorgeschriebener Dauer gibt es nur 97 Klangereignisse (pro Zeitklammer zwischen einem und drei Ereignissen). Freilich ist der Rest nicht Stille, sondern wohldisponierter Nachklang, der auf zwei Weisen erzeugt werden kann: Entweder bleibt das Haltepedal die ganze Zeit über niedergedrückt (was einen äußerst fein nuancierten Anschlag erfordert), oder die Töne werden auf der Taste gehalten, was gewiss die flexiblere Lösung der Aufgabe ist.

Christoph Schlüren

Programm:

[01] ONE for piano solo (1987) 10:05

[02] ONE2 for 1–4 pianos (1989) 40:40

[03] ONE5 for piano solo (1990) 20:34

total time: 71:41

Sabine Liebner, piano

Pressestimmen:


June 2011

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