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Johannes Brahms: Ein deutsches Requiem

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Artikelnummer: NEOS 30803 Kategorien: ,
Veröffentlicht am: September 15, 2008

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»TRAUERMUSIK ALS SEELIGPREISUNG DER LEIDTRAGENDEN«

Die hier zu Gehör kommende Klanggestalt rekonstruiert die Urform von Johannes Brahms’ Deutschem Requiem vor dessen Siegeszug in chorsymphonischer Klangmacht. Diese Bearbeitung stammt von dem Komponisten Heinrich Poos (geboren 1928), der hauptsächlich mit Vokalmusik hervorgetreten ist und lange Jahre in Berlin Professor für Musiktheorie war. Poos ermöglicht uns einen Blick in Johannes Brahms’ musikalische Werkstatt und auf den Arbeitsprozess des Deutschen Requiems, indem er den Orchesterpart auf zwei Klaviere verteilt und die Pauken als wesentliche orchestrale Impulsgeber hinzufügt.

Der Werkstattcharakter dieser Bearbeitung wird historisch wie klanglich authentifiziert durch die verwendeten Instrumente: Die beiden Flügel sind Originalinstrumente aus dem großen Fundus des WDR, der eine ein Erard-Flügel, 1839 in Paris gebaut, der andere ein Collard-Flügel aus London von 1849. Auch die Kesselpauken sind historische Instrumente, gefertigt und verwendet zu Brahms’ Lebzeiten.

Diese Klangfassung ist zugleich eine Zeitreise zur Entstehung des Requiems: Johannes Brahms hat nicht nur selbst den Klavierauszug sowie ein vierhändiges Arrangement der Orchesterpartitur geschrieben, sondern das Klavier war auch Ausgangspunkt und klangliche Urzelle der Komposition. Der Pianist Brahms hatte nämlich bereits Mitte der 1850er Jahre eine (später verworfene) Sonate für zwei Klaviere konzipiert. Deren langsames Scherzo, eine Sarabande als Trauermarsch im schreitenden Dreiertakt, fand Eingang in das Deutsche Requiem als dessen zweiter Satz, dem Chorstück »Denn alles Fleisch, es ist wie Gras« im Charakter ›langsam, marschmäßig‹.

Ablauf und Charakter einer lateinischen Totenmesse sind in der katholischen Liturgie streng ritualisiert. In Absetzung hiervon hatte der Protestant Brahms die Texte seines Requiems »nach Worten der heiligen Schrift« selbst aus dem Alten und Neuen Testament ausgesucht und zusammengestellt. Brahms war ein eminenter Kenner der Bibel; als typischer wilhelminisch-norddeutscher Kulturprotestant des ausgehenden 19. Jahrhunderts wahrte er dabei aber Distanz zur Kirche und aller Dogmatik.

Brahms’ Freund Rudolf von der Leyen schreibt in seinen Erinnerungen: »Wir sprachen bei einer Gelegenheit über Robert Schumann, Brahms’ größten und meistgeliebten Freund, und zwar von der traurigen Zeit seiner Krankheit in Endenich. Brahms erzählte mir, Schumann habe da nach der Bibel verlangt und dieser Wunsch sei von seinen Ärzten als neues Symptom seiner geistigen Erkrankung aufgefasst und zunächst abgeschlagen worden. Die Leute wussten eben nicht, sagte Brahms, dass wir Norddeutschen jeden Tag nach der Bibel verlangen und keinen Tag ohne sie vergehen lassen. In meinem Studierzimmer greife ich auch im Dunkeln meine Bibel gleich heraus!«

Im Mittelpunkt seiner persönlichen Glaubensäußerung stehen für Brahms nicht die Toten mit dem Gedenken und den Bitten um die ewige Ruhe, sondern er komponierte seine »Trauermusik als Seeligpreisung der Leidtragenden«, wie er an den Freund Karl Reinthaler schrieb, der als Bremer Domorganist Mitwirkender bei der dortigen Erstaufführung am Karfreitag des Jahres 1868 war.

Und auf die Bedenken des studierten Theologen Reinthaler (»Es fehlt aber für das christliche Bewusstsein der Punkt, um den sich alles dreht, nämlich der Erlösungstod des Herrn.«) erwidert der Komponist: »Was den Text betrifft, will ich bekennen, dass ich recht gern auch das ›Deutsche‹ fortließe und einfach den ›Menschen‹ setzte … «. Brahms geht es also nicht um eine theologisch abgesicherte und christlich tradierte Darstellungsweise vom Tod als Erlösung und Transzendenz oder den im lateinischen Requiem enthaltenen mahnenden und durchaus bedrohlichen Bildern des Jüngsten Gerichts. Brahms’ Anliegen ist vielmehr eine tröstliche Botschaft an die Hinterbliebenen, in einer individuellen Sichtweise von entgrenzender Humanität und über alle Einengungen von Konfession und Sprache hinweg.

Die Allgemeingültigkeit des musikalischen und geistigen Anliegens von Johannes Brahms liegt in seiner nachvollziehbaren Glaubhaftigkeit, denn die Seelentröstung, die das Requiem vermittelt, entspringt der eigenen Seelennot: Brahms ist unbehaust, geographisch wie seelisch. Zur Zeit der Requiem-Komposition ist er ständig auf Reisen, nicht mehr in seiner Geburtsstadt Hamburg zu Hause (wo man ihm die erhoffte Stelle als Musikdirektor verweigert hatte) und noch nicht in Wien ansässig (wo er, ein wohlhabender Mann, später bis zu seinem Tod als Untermieter wohnen sollte).

Die selbstgewählte Bindungslosigkeit erstreckte sich auch auf den privatesten Bereich: Dass Brahms, der Frauenfreund, meinte, zur Ehe nicht zu taugen, lag wohl an der Angst um seine Produktivität, die er in bürgerlich geordneten Verhältnissen gefährdet glaubte. Und wenn Brahms im Requiem klagt »Denn wir haben hie keine bleibende Statt« und musikalisch verklärt singt »Wie lieblich sind Deine Wohnungen, Herr Zebaoth!«, so ist dies die Kompensation eines Zustands von Heimatlosigkeit, wie Brahms ihn in tiefster Seelennot an Clara Schumann beschreibt: »Ich bin kein Kosmopolit, sondern hänge, wie an einer Mutter, an meiner Vaterstadt. […] Wie selten findet sich für unsereinen eine bleibende Stätte, wie gerne hätte ich sie in der Vaterstadt gefunden. […] Du hast an Deinem Mann erlebt und weißt es überhaupt, dass sie uns am liebsten ganz loslassen und allein in der leeren Welt herumfliegen lassen. Und doch möchte man gebunden sein und erwerben, was das Leben zum Leben macht, und ängstigt sich vor der Einsamkeit.« Eben dies macht das Deutsche Requiem zu einem von Brahms’ innigsten Werken: Die Tröstungen erfleht Brahms auch für sich, denn er selbst ist einer derer, »die da Leid tragen«.

Michael Schwalb

Programm:

Ein deutsches Requiem op. 45 (1857–1868)
Version for two pianos and kettle drums
Arranged by Heinrich Poos

[01] 10:48 I Selig sind, die da Leid tragen
[02] 12:40 II Denn alles Fleisch, es ist wie Gras

[03] 08:59 III Herr, lehre doch mich
[04] 05:43 IV Wie lieblich sind deine Wohnungen
[05] 06:24 V Ihr habt nun Traurigkeit

[06] 11:05 VI Denn wir haben hie keine bleibende Statt
[07] 09:44 VII Selig sind die Toten

total time 65:25

WDR Rundfunkchor Köln
Simone Nold
, soprano
Kay Stiefermann, baritone
Ian Pace and Mark Knoop, piano
Peter Stracke, kettle drums
Rupert Huber, conductor

Pressestimmen:


01.07.2009


28.02.2009

 


1/2009

 

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