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Christian Ofenbauer: Zerstörung des Zimmers / der Zeit

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Artikelnummer: NEOS 12018-19 Kategorien: , ,
Veröffentlicht am: August 21, 2020

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CHRISTIAN OFENBAUER · ZERSTÖRUNG DES ZIMMERS / DER ZEIT

So rätselhaft abstrakt und von hermetischer Schönheit Christian Ofenbauers Musik auch manchmal sein mag, so feinfühlig reagiert sie doch auf den Kontext, in dem sie entsteht, auf die Ausführenden, für die sie gedacht ist, auf ihre Rahmenbedingungen. Gewiss, alles Komponierte kommuniziert, und sei es durch die vorgebliche Weigerung, sich mitzuteilen. Doch bei Ofenbauer gibt es mehrere Werkreihen, die sich sogar überschneiden können und deren Bestandteile miteinander in Beziehung stehen, der Reigen der BruchStücke etwa und die sechs Streichquartettsätze; Kompositionen, die in einen musikalischen Austausch treten, aufeinander verweisen oder auseinander hervorgehen, in denen die gleichen Ideen neu verhandelt und Vorgänge weiter entwickelt werden.

Das gilt auch für die drei musikalischen Gestalten mit dem gemeinsamen Titel Zerstörung des Zimmers / der Zeit, der die Regieanweisung der Schlussszene aus Bertolt Brechts Fatzer-Material zitiert: ein Werk für Streichquartett von 1999 (und als solches Teil der Gesamtaufnahme der Streichquartettsätze durch das Arditti Quartet, NEOS 11513-14), darüber hinaus ein Klavierstück aus demselben Jahr sowie eine 2000 entstandene Komposition für die Summe dieser zwei Besetzungen, also ein Klavierquintett. Die beiden letztgenannten Werke wurden für die vorliegende Doppel-CD von Johannes Marian und dem Quatuor Diotima nun erstmals gleichsam im Zusammenhang als musikalische Pendants eingespielt.

Schwelendes Unbehagen /
Von der Funktion im Theater …

Was hat man sich darunter vorzustellen: ein Zimmer, gebrochen durch die Zeit? Ist damit ein spekulatives mathematisches Verhältnis benannt? Oder könnte die Alterung eines Raumes gemeint sein, dessen langsam fortschreitender Verfall? Und was wäre die Zerstörung dieses Vorgangs? Die Suspendierung der Zeit, das Anhalten ihres Verstreichens?

Diese offenen Fragen kreisen nicht zufällig um die zentralen Themen, die sich Ofenbauer als Komponist stellt. Dass er das Entstehungsjahr zum integralen Bestandteil seiner Werktitel macht, ist dafür ein bekanntes äußeres Zeichen. Insofern wirkt es nur konsequent, dass ihm die beiden hier vorliegenden Stücke mittlerweile als »alte Musik« erscheinen. Doch auch strukturell verhält sich sein Schaffen ganz vorsätzlich zur Zeit, ja sie will diese ins Bewusstsein rücken: indem seine Werke einerseits ihr Vergehen hörbar machen oder andererseits den Eindruck erwecken, sie könnten mit ihr spielen, sie stauchen, dehnen oder gar zum Stillstand bringen. Das führt uns zum historischen Ursprung des klingenden Triptychons Zerstörung des Zimmers / der Zeit, denn es ist hervorgegangen aus einer Schauspielmusik.

1999 inszenierte Lutz Graf am Grazer Schauspielhaus Ödön von Horváths Drama Geschichten aus dem Wiener Wald, in dem die soziale, politische und ökonomische Situation um 1930 ohne jede Hoffnung auf Besserung abgehandelt wird. Damals war schon klar, dass Graf auch Regisseur der Uraufführung von Ofenbauers SzenePenthesileaEinTraum (1999–2000) sein würde, und er lud den Komponisten ein, für die Horváth-Inszenierung einen musikalischen Beitrag zu leisten. Ofenbauer entschied sich für eine Klanginstallation, die den ganzen Abend über im Haus (eine assoziative Verbindung zum »Zimmer«?) subtiles Unbehagen verbreiten sollte – schon vor der Aufführung, während der Pause, nach dem Ende. Dazu schrieb er eine dicht gewobene, aber sehr leise Textur für Streichquartett, die radikal ohne Pausen oder wahrnehmbare Einzeltöne auskam, sondern mit extrem gedehnten, vielfach geräuschhaft gefärbten Glissandi und Tremoli in allen Stimmen nach 48 Minuten in sich selbst zurückkehrte und damit eine Art Zeitschleife darstellte, eine ausweglose Unendlichkeit.

Die weiteren verwendeten Instrumente legitimierten sich aus dem Stück selbst: Klavier, Zither, Kontragitarre und zwei Violinen. Das Publikum der Theateraufführung konnte das unbarmherzige, eisige Klima, das Ofenbauer erzielte, geradezu körperlich wahrnehmen: Seine in mehrerlei Hinsicht treffende Musik hat der Graf’schen Inszenierung nicht gerade zu Popularitätsrekorden verholfen, wohl aber entscheidend zur Wahrhaftigkeit dieser Horváth-Deutung beigetragen. Das alles mag genaues kompositorisches Kalkül nahelegen – und ohne Frage war es mit Bedacht so gewählt –, doch vollzog sich die Arbeit an der Schauspielmusik auffällig entspannt: Er sei nicht nur auf die letztendliche Wirkung stolz, sondern habe auch großen Spaß daran gehabt, gleichsam drauflos schreiben und beobachten zu können, wie sich die Klänge entfalteten, erzählt Ofenbauer im Rückblick. Durch diese Erfahrung sei er dem Komponieren gegenüber gelassener geworden, was einen hilfreichen, großen Schritt in seiner persönlichen Entwicklung bedeutet habe.

Verwandlung und Selbständigkeit /
… zur Autonomie im Konzertsaal

Der Gedanke lag nahe, diese »Musique d’ameublement« für den Konzertsaal und für eine direkte Kommunikation mit dem Publikum aufzubereiten. Zunächst erwies sich, dass die Klavierstimme der Schauspielmusik als Stück von eigenem Rang taugen konnte: Sie wurde zu Zerstörung des Zimmers / der Zeit (1999) für Klavier solo – und wäre somit auch in die BruchStück-Reihe einzuordnen. Die Notation ist herkömmlich und exakt, freilich mit vielen Taktwechseln und immer wieder kürzeren, wiederholten Taktgruppen.

Morton Feldman kommt einem dabei in den Sinn, doch weicht die Anmutung ab: durch eine unterschiedliche Struktur der Repetitionen, überhaupt einen anderen musikalischen Gestus. Es sind vereinzelt zarte, scheinbar improvisierte, absichtslos wirkende Klänge, durchwegs sehr leise, selbstvergessen, unprätentiös. Viele Pausen (das Stück beginnt schon mit einer solchen) und das dauerhaft gedrückte Pedal schaffen Raum für ausgiebigen Nachhall, im akustischen ebenso wie im übertragenen Sinne in der Wahrnehmung. Und durch ein relativ breites Spektrum, aus dem der Pianist sein Tempo wählen kann (Viertel = ca. 56-72), sind in der Dauer von Aufführung zu Aufführung erhebliche Schwankungen möglich.

Daneben hielt die Zeitschleife des Streichquartetts den Komponisten gleichfalls noch gefangen. Doch es wäre nicht Ofenbauer, würde sich die Musik durch die Preisgabe der ursprünglichen Funktion und das Herauslösen aus dem einstigen Zusammenhang nicht wandeln, eine Eigendynamik entwickeln, kurz: sich auch kompositorisch verändern.

Für Zerstörung des Zimmers / der Zeit, Konzertfassung für Streichquartett und Klavier (2000) unterzog er den Klavierpart ebenso wie jenen des Quartetts einer neuerlichen Bearbeitung. Die Ideen blieben dieselben, aber in den konkreten Verlauf griff Ofenbauer mehrfach ein, vor allem mit (nicht wirklich als solche wahrnehmbaren) Beschleunigungen im Streicherkontinuum gegen Ende der 48 Minuten, die in einer Streckennotation (engl. »space-time notation«) zu Papier gebracht sind. Und was zuvor in sich selbst zurückführen musste, verfehlt seinen Anfang nun: Der Kreis schließt sich nicht länger.

Ein solches Aufbrechen eines vermeintlich fixen Geschehens garantiert auch das Klavier, indem es zwar zugleich mit dem Streichquartett beginnt, aber durch seine selbständige Tempostruktur von Aufführung zu Aufführung unterschiedlich weit in seinem Notentext vordringt, bevor es dessen ungeachtet zugleich mit dem Quartett nach exakt 48 Minuten verstummt. Wichtig ist dabei die unterschiedliche Stimmtonhöhe: Für die Streicher sind 440 Hz verlangt, für das Klavier 445 Hz. Dadurch ist sichergestellt, dass die Tontropfen des Klaviers auch dort nicht vom Streicherklang aufgesogen werden, wo spieltechnisch bedingt leere Saiten vorübergehend leicht hervorstechen mögen.

Und plötzlich scheint sich eine Brücke zurück zum unvollendeten Untergang des Egoisten Johann Fatzer zu wölben, zu jenem Fragment, das bezeichnenderweise zur selben Zeit entstanden ist wie Horváths Geschichten aus dem Wiener Wald. Da heißt es bei Brecht in Heiner Müllers Bühnenfassung: »Der Zweck, wofür eine Arbeit gemacht wird, ist nicht mit jenem Zweck / Identisch, zu dem sie verwertet wird / Die Erkenntnis kann an einem anderen Ort gebraucht / Werden, als wo sie gefunden wurde.« So gilt es für die Zerstörung des Zimmers / der Zeit, die ihren Ursprung hinter sich lässt, sich verwandelt, die in der Gestalt für Klavier solo sowie für Streichquartett und Klavier in sich und mit sich selbst in Austausch tritt – Rücken an Rücken, aber Hand in Hand.

Walter Weidringer

Programm:

Christian Ofenbauer (*1961)

CD 1

[01] Zerstörung des Zimmers / der Zeit 2000 48:16
Konzertfassung für Streichquartett und Klavier

Quatuor Diotima
Yun-Peng Zhao, 1. Violine
Léo Marillier, 2. Violine
Franck Chevalier, Viola
Pierre Morlet, Violoncello

Johannes Marian, Klavier

CD 2

[01] Zerstörung des Zimmers / der Zeit 1999 31:21
Version für Klavier solo

Johannes Marian, Klavier

 

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