Tobias PM Schneid: New Works

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Artikelnummer: NEOS 11105 Kategorie:
Veröffentlicht am: Mai 31, 2013

Infotext:

KOMPONIEREN ALS »EXISTENZIELLE ARBEIT«
Zur Musik von Tobias PM Schneid

»In meiner Musik verwende ich traditionelles Material, und ich scheue mich auch nicht vor dessen Abgenutztheit. Allerdings versuche ich, mit diesem Material auf meine ganz eigene Art umzugehen. Ich fühle mich dabei wie auf einer Klippe, doch das liegt mir näher, als mich auf abgesichertem Terrain zu bewegen.«

Mit diesen Worten charakterisiert der 1963 in Rehau bei Hof geborene Komponist Tobias PM Schneid Grundzüge seines künstlerischen Selbstverständnisses. Er versteht seine Werke gerade nicht als autonome Klanggebilde, sondern als komplexe und ins Abstrakte transformierte Spiegelungen des Lebens selbst. Dieser Ansatz schlägt sich markant auf der Materialebene nieder, auf der immer wieder, in ungewohnten Zusammenhängen, vertraut Anmutendes bis hin zu tonalen Assoziationen auftaucht. Seine schöpferische Arbeit begreift Schneid – um bei seinem Bild von der »Klippe« zu bleiben – als Gratwanderung, und die Möglichkeit des »Abrutschens« ins Konventionelle fasst er im Gegenzug als Sprungbrett auf, um der »Keimfreiheit« struktureller Selbstbezüglichkeit zu entrinnen.

Wahrlich nichts von »Keimfreiheit« ist in den Five Portraits, Capriccios für Violine solo (2011), zu spüren. Dass die Nummer V mit Voyage überschrieben ist, unterstreicht den Aspekt der »Klangreise« durch menschliche Temperamente, Stimmungen und Abgründe. Der Komponist betont denn auch die biografische Verwurzelung dieser Musik, die jedoch nicht auf detaillierten »Programmen« basiert. »Manisch, extrem aufgewühlt, mitunter auch aggressiv, rubato« lautet die beredte Vortragsanweisung zum ersten Porträt (Manic Depression), die neben weiteren Ausdrucksbezeichnungen wie »manisch, gehetzt, immer unter großem Zwang« oder »epileptischen Zuckungen gleich« auf seelische Nöte deutet, die in den Klängen eindringlich reflektiert werden. So roh, exaltiert und ungestüm sich die Expressionskraft einerseits vermittelt, so bannte Schneid sie andererseits doch in einem konstruktiven Gerüst. Auch großformal unterliegen die fünf Porträts einer inneren Dramaturgie: Harsche Gegensätze und emotionale Wechselbäder verdichten sich zu einem facettenreichen Mosaik.

Das ins Melancholische entrückte zweite Porträt kontrastiert radikal mit dem ersten, während das dritte vermeintlich sehnsuchtsvoll ins Bodenständige und Tänzerisch-Volkstümliche entführt. Nach dieser doppelbödigen Brechung wartet das vierte Porträt mit einer weiteren Spielart des Tänzerischen auf, die nun aber ins Dämonische geleitet; gefolgt vom letzten Porträt, das »sehr frei« und »ohne Zeitmaß« aller Erdenschwere, allen inneren und äußeren Grenzen, enthoben ist.

Gemahnt diese instrumentalmusikalische »Entgrenzung« an Himmelfahrt und jenseitige Gefilde, so gab Tobias PM Schneid für sein Klaviertrio Nr. 1 – trotz des Untertitels »…towards the abstract seas…« – konkretere Hinweise: »Direkt nach dem Tod meines Vaters sind die Skizzen entstanden. Der Schlussteil ist am Todestag (26.02.2003) vollkommen intuitiv komponiert worden und ist auch in der Neukomposition unverändert geblieben.« Die besagte »Neukomposition« schuf Schneid mit erheblich zeitlichem Abstand. Nach fünf Jahren nahm er sich das Klaviertrio erneut vor und vollendete es. Tonale und atonale Passagen irritieren und verzaubern sich wechselseitig, worin sich auch der Zwiespalt zwischen stiller Trauer und emphatischer Auflehnung abzeichnet.

Andere Sphären eröffnen die Sechs Bagatellen für Klavier solo (2011), die sich kaleidoskopartig in unterschiedliche musikalische und geistige Räume vortasten. Die Nummern I und II zeigen eine Entwicklung auf vom spielerischen Schwelgen im Klavierklang bis zum überraschend heiteren Spaziergang mit Beckett und Bernhard. Ins Virtuose tendierende Konstellationen dominieren die Nummern III bis V, die in den Polytonal Loops mit unterschwelligen Referenzen an die exaltierten Player Piano-Studien eines Conlon Nancarrow zum Höhepunkt geführt werden. Im Anschluss daran erhält die Nummer VI (Eistropfen) mit Prolog und Epilog das Gewicht eines Finales, in dem Assoziationen an Naturphänomene zugleich auf psychische Zustände verweisen.

Ganz im Zentrum stehen existenzielle Dimensionen dann wieder in der Sonata für Violoncello solo (2011/2012), deren auf barocke Vorbilder bezogene Satzüberschriften »Toccata« und »Partita« von der Vortragsanweisung »wie von Sinnen« konterkariert werden. Sehr heftige Stimmungsschwankungen lassen an eine flammende »Klangrede« denken, zumal das Cello als das Instrument gilt, dessen farbintensives Timbre am ehesten den ganzen Menschen repräsentiert. »Attaca« geht die Toccata in die Partita mit ihrer tänzerischen Note über. Wie ein Wink aus einer fernen Welt erscheint in diesem Kontext ein »gebrochener Gesang«, nach dessen lyrischer Versenkung nichts mehr so sein kann wie vorher. Zwar kehren tänzerischer Duktus und dessen Zuspitzung ins Gehetzte als Abbild rastlosen Treibens zurück, doch kontemplative Anwandlungen gewinnen die Oberhand.

Geschrieben wurden alle drei Solowerke explizit für die Mitglieder des Tecchler Trios, die im abschließenden Klaviertrio Nr. 2 (2007) noch einmal gemeinsam agieren. Das zweite Klaviertrio knüpft insofern an das erste an, als Schneid darin ebenfalls den Topos des Abschieds fokussierte. War im ersten Klaviertrio ein persönlicher Abschied im engsten Familienkreis die Inspirationsquelle, so formuliert das zweite mit Three Farewells and Intermezzo for L einen klingenden Abschied von dem Komponisten György Ligeti, der Schneids eigenes Schaffen beeinflusst hat. Zudem zieht er eine Referenzlinie bis zu Beethoven, indem er dessen »Lebewohl-Motiv« aus der Klaviersonate Nr. 26, Les adieux, das auch Ligeti aufgriff, einfließen ließ. Das L im Untertitel steht somit nicht nur für Ligeti, sondern auch für Ludwig (van). Während in den Sätzen I und III – ohne zu imitieren – die motorische Insistenz von Ligetis Musik auflebt, bilden die Sätze II und IV zart-poetische Gegenpole, wobei sich das ausgedehnte Schlaflied für L (Nr. IV) mit seinem Schlussabschnitt (»sehr ruhig, wie von fernen Gipfeln«) beinahe verklärend im wundersamen Reich der Träume verliert.

Auch im zweiten Klaviertrio ist die Verwendung bereits bekannten Materials für Tobias PM Schneid kein Selbstzweck, sondern stets musikalisch-inhaltlich begründet. Mit der postmodernen Haltung eines »anything goes« hat er denn auch kaum etwas im Sinn: »Wer das Komponieren wirklich als existenzielle Arbeit und Teil einer Daseinsberechtigung auf diesem Planeten ansieht, der empfindet diese Vielschichtigkeit überhaupt nicht als ›anything goes‹, das heißt als Befreiung von Verantwortung, sondern als genaues Gegenteil. Dadurch, dass ich über das schon Dagewesene Bescheid weiß, ist die Verantwortung, es dann doch zu benutzen, viel größer, als wenn ich die kompositorische Verantwortung auf ein vorher entworfenes System übertrage und traditionell besetzte Bereiche von vornherein ausklammere.«

Egbert Hiller

Programm:

Five Portraits (2011) 19:37
Capriccios for violin solo

[01] I. Manic Depression 05:14
[02] II. Melancholy Madness 05:38
[03] III. Euphoria 01:42
[04] IV. Demon Dancer 02:23
[05] V. Voyage 04:36

Esther Hoppe, violin

[06] Piano Trio No. 1 “…towards the abstract seas…” (2003/2008) 17:39
Ritornell im Gedenken an meinen Vater Franz Xaver Schneid

Tecchler Trio (Esther Hoppe, violin / Maximilian Hornung, cello / Benjamin Engeli, piano)

Sechs Bagatellen für Klavier solo (2011) 11:44

[07] Nr. I 01:18
[08] Nr. II “Spaziergang mit Beckett und Bernhard” 01:34
[09] Nr. III 01:46
[10] Nr. IV 01:41
[11] Nr. V “Polytonal Loops” 02:33
[12] Prolog (zu Nr. VI) 00:15
[13] Nr. VI “Eistropfen” 02:01
[14] Epilog (zu Nr. VI) 00:31

Benjamin Engeli, piano

Sonata for Cello Solo (2011/2012) 13:05

[15] I. Toccata 07:46
[16] II. Partita 05:18

Maximilian Hornung, cello

Piano Trio No. 2 “Three Farewells and Intermezzo for L” (2007) 16:21
[17] I. Prestissimo – Presante 04:18
[18] II. Intermezzo: Lontano 03:25
[19] III. Scherzo: Come un meccanismo di precisione 02:14
[20] IV. Schlaflied für L 06:13

Tecchler Trio (Esther Hoppe, violin / Maximilian Hornung, cello / Benjamin Engeli, piano)

total time: 78:38

Pressestimmen:

03.2014

[…] Schneids Musik teit sich mit, aber sie drängt sich nicht auf. Rückgriffe auf Vergangenes kaschiert er nicht. Wenn wie im Piano Trio No. 1 … towards the abstract seas … (2003/2008) Motorisches à la Dimitri Schostakowitsch ins Spiel kommt, dann sind es keine Zitate, wohl aber deutliche Allusionen. […] Er scheue sich nicht vor der “Angenutztheit” des traditionellen Materials, so Schneid.
[…] Die in Kooperation mit dem Bayerischen Rundfunk enstandene CD (Produzent: Helmut Rohm) lässt keine Wünsche offen. Gewohnt angenehm ist die schöne und schlichte NEOS-Verpackung. Alle fünf Stücke wurden für das 2003 in Zürich gegründete Tecchler Trio […] geschrieben. Es zeigt sich von seiner besten Seite, sowohl im Zusammenspiel als auch solistisch. […]

Torsten Möller


12/13 – 1/14

Vor der Pforte des Glücks
Die Weihnachtsgeschenk-Tipps der nmz-Redaktion 2013

Diese Kompilation aus Kompositionen, entstanden in den Jahren 2007 bis 2011, produziert in Kooperation mit BR-Klassik und bei NEOS 2013 veröffentlicht, ist eine Entdeckungsreise in ganz ungewöhnliche, im feinen Sinn des Wortes eigentümliche kammermusikalische Klangwelten. Von “Strömungen” oder gar “Dogmen” zeitgenössischer Musik hat sich Tobias PM Schneid nie beeindrucken lassen. Seine kunstvolle Klangsprache ist hoch subjektiv und dabei emotional intensiv transportfähig. Sie stimmt nachdenklich, berührt und wühlt im nächsten Moment auf. Die Interpretation durch die Ensemblemitglieder des Tecchler-Trios macht Stück für Stück die Spannungsfelder klug und engagiert durchhörbar. Fast achtzig Minuten starker Klang-Eindruck, den selbst ein Autoradio nicht schmälern kann.

Theo Geißler

 

 

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