Thomas Hummel: Aus Trachila

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Artikelnummer: NEOS 10804 Kategorie:
Veröffentlicht am: Oktober 10, 2008

Infotext:

MUSIK UND TEXT IN UNGEWÖHNLICHER LIAISON
“Aus Trachila” von Thomas Hummel

Die Verstehensproblematik ist in der neueren Kunstwissenschaft zum Gegenstand verschiedener Diskurse geworden, die bis zu Theorien des Nichtverstehens oder der Unlesbarkeit reichen. Die Musik als abstrakteste aller Künste trug immer schon ein erhebliches Maß an Unbestimmtheit mit sich. Heute haben sich, nicht zuletzt dank der Forschungen in den Bereichen Klang- und Sprachsynthese, die etablierten Möglichkeiten einer Liaison von Literatur mit Musik erweitert.

Sie reichen von der konventionellen Textvertonung bis hin zu unterschiedlichsten Deutlichkeitsgraden eines Mitschwingens von Worten in Musik. Texte können akustisch unhörbar und doch in ihrer Semantik präsent sein. Und dieser Extremfall kann heißen, dass alle üblichen Modalitäten der Verständigung unterlaufen werden, um damit eine neue Intensität der Wahrnehmung zu erschließen.

Dies alles bezeichnet ebenso die Ausgangssituation für eine Beschäftigung mit dem 2003–2006 entstandenen Werk Aus Trachila von Thomas Hummel wie die Tatsache, dass der Komponist schon häufiger auf originelle Weise nach neuen Verknüpfungen zwischen Sprache und Musik gesucht hat. Diese Tendenz seines Schaffens kulminierte erstmals im Orchesterwerk Nicanor (1996/97), in dem er bestimmte Worte mit Hilfe eines von ihm selbst entwickelten Verfahrens in Instrumentalklänge übersetzt, fern abseits althergebrachter Formen von Programmmusik, also weit über assoziative Klangmalerei hinaus.

War es in Nicanor der berühmte Roman Der Herbst des Patriarchen von Gabriel García Márquez, von dem Hummel seinen Ausgang nahm, so bezieht sich Aus Trachila nun auf zwei unterschiedliche und zeitlich weit auseinanderliegende literarische Werke: einerseits auf die bedrückenden Lieder der Trauer des Ovid, andererseits auf den höchst erfolgreichen, oft als typisch postmodern bezeichneten Roman Die letzte Welt des österreichischen Autors Christoph Ransmayr aus dem Jahre 1988.

Ein entscheidender Impuls für Hummels Verknüpfung dieser Elemente liegt darin, dass Ransmayrs virtuos zwischen antiker Welt und Gegenwart changierendes Erzählwerk gerade von dem Dichter Ovid und seinen Metamorphosen handelt, eines der meistgelesenen epischen Werke der Antike. In jenem Abschnitt, von dem sich Hummel inspirieren ließ, begibt sich Ovids römischer Freund Cotta auf die Suche nach dem Dichter, von dem es heißt, er habe in einer Einsiedelei namens “Trachila” Zuflucht genommen. Thomas Hummel nimmt dieses Element der erwartungsvollen Suche auf. Er reflektiert es mit der Faktur seiner Komposition und spricht selbst davon, dass sich die Reise Cottas ebenso wie sein eigenes Stück Aus Trachila als verschlungener Pfad durch Zeiten und Kulturen und deren Sprachen« entpuppt.

Diesen Hinweis aufgreifend, kann man zunächst die Tendenz zur gleichsam prismatischen Brechung und kunstvollen Verschleierung hervorheben. Die Idee der beständigen Verwandlung, ästhetischer Kern von Ovids Metamorphosen-Konzept und schon seit Goethes Zeiten immer wieder anregend für Künstler aller Sparten, wird von Thomas Hummel in diesem Werk ebenfalls aufgegriffen.

Sie manifestiert sich gleichermaßen als ein Moment der Spannungserzeugung wie der ästhetischen Offenheit – letzteres im Sinne einer permanenten Suchbewegung, die beim Hören des Werkes auf höchst suggestive Weise erfahrbar ist. Fremdheit ist dabei eines der  Themen dieses Stückes. Es schließt in besonderem Maße die Artikulation von Sprache ein, die zwischen klaren Distinktionen und Transformationen in Klänge wechselt und damit beständig die Frage aufwirft, was Wahrnehmung von Sprache überhaupt heißt.

Aber es kann auch auf den virtuosen Umgang mit Klangfarben bezogen werden, dabei stehen die gewohnten Klangfarben von Instrumenten gleichberechtigt neben ungewöhnlichen und verzerrten Spielweisen. Sprache und Musik nähern sich auf faszinierende Weise bereits im ersten der vier Sätze dieser Komposition, wenn der Sprecher den Ovid-Text so zu artikulieren hat, dass er sich den Klangfarben des Orchester anähnelt. Erst in weiteren Sätzen wird der Text deutlich semantisch erfahrbar.

Thomas Hummel ist durch seine Ausbildung und seine langjährige Tätigkeit als Musikinformatiker in strengem wissenschaftlichen Denken geschult. Und er vermag dieses Denken immer wieder für sein Komponieren produktiv zu machen. Dies wirkt sich in Aus Trachila wie in einigen anderen neueren Werken besonders in der bewussten Kalkulation der Aufmerksamkeit des Hörens beim Umgang mit Text und Musik aus. Ausgehend von Forschungen zur ästhetischen Wahrnehmung und insbesondere zu den Unterschieden zwischen visueller und akustischer Wahrnehmung kommt Hummels Musik zu verblüffenden Klang-Verknüpfungen, die mit der Möglichkeit des vergleichenden Erinnerns ebenso wie mit dem “Wandern” der Aufmerksamkeit spielt – und gerade auf solchen Wegen eine besondere musikalische Intensität entfaltet.

Jörn-Peter Hiekel

 

THOMAS HUMMEL: ZUM AUFNAHMETECHNISCHEN VERFAHREN

Die Produktion von Aus Trachila ist ein aufnahmetechnisches Experiment, das in diesem Umfang wahrscheinlich erstmals durchgeführt wurde. Es ist ein Versuch über die hyperrealistische Wiedergabe eines Werkes. Bei dem hier angewendeten Verfahren wird jeder Part des Orchesters nach Dirigat getrennt eingespielt, musikalisch angepasst und verräumlicht. Eigens entwickelte Programme helfen bei der Einspielung und bei der manuellen Platzierung aller Teile und machen die enorme Komplexität der Aufgabe beherrschbar. Mit dieser Innovation lässt sich eine hohe Präzision und Transparenz der Interpretation erzielen. In der Surround-Fassung der Aufnahme befindet sich der Hörer virtuell mitten im Orchester. Die Produktion ist dem Cellisten Claudius von Wrochem zugeeignet, der das Projekt ermutigend und ermöglichend begleitet hat.

Programm:

[01-04] 59:14 Aus Trachila

A hyper-realistic recording
for speaker and ensemble

Christoph Ogiermann, voice artist
Holst-Sinfonietta

Pressestimmen:


11/12.2009

Hummel describes Aus Trachila, subtitled “Searching for the Missing Ovid,” as “an experiment in recording technique.” By this, he means he has tried to achieve what he calls a “hyper-realistic” recording of a piece of music. Each instrument of the ensemble is recorded separately with the conductor, then musically adapted and “spacialized.” Computer software developed specifically for this process is employed. Presented in surround sound, the effect is to place the listener amidst the orchestra. Perhaps unsurprisingly, the piece was three years in the making (2003–06). Following on from his 1996–97 piece, Nicanor, Hummel experiments in Aus Trachila with the relationship between speech and music, translating certain words into the sounds of instruments. For Nicanor, Hummel took as his point of departure the novel The Autumn of the Patriarch (Gabriel Garcia Márquez), whereas here his influences were Songs of Dolour (Ovid) and the postmodern novel Die letzte Welt by Christoph Ransmayr. The link between the two is that Ransmayr’s novel moves between present and ancient times, referring to Ovid’s Metamorphoses in the process. Cotta goes in search of Ovid and finds him in a hermitage called Trachila, hence the title of Hummel’s piece. It is the element of search that specifically inspired Hummel.

Christoph Ogiermann is referred to as a “voice artist.” The texts themselves can only be heard in any sort of clear way in the second, third, and fourth movements. When they do come into focus, the effect can be shattering. In the first movement, though, the voice artist becomes a member of the ensemble. Given that Hummel has embarked on research in aesthetic perception, it is no surprise that such manipulations of timbre and, indeed, expectations of role, form a central part of his thinking. The resultant sonorities can be surprising and, at times, downright disturbing. Altered sounds can take on an otherworldly aspect, somewhat akin to Stockhausen’s sonic explorations.

The work is actually scored for speakers, 18 musicians, playback, and video, although obviously the video element is absent here. The result is stimulating, fresh, and uncompromising music recorded in state-of-the-art sound. A complete list of Hummel’s works can be found at his informative Web site, www.thomashummel.net/, where one can also download a PDF of his complex article, “Simulation of Human Voice Timbre by Orchestration of Acoustic Music Instruments.”

Colin Clarke


09/09

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