Moritz Eggert: Paradies Lied

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Artikelnummer: NEOS 12123 Kategorie:
Veröffentlicht am: Juni 10, 2022

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MORITZ EGGERT · PARADIES LIED
In meinem Liedschaffen sind die Lieder für Bariton und Klavier besonders zahlreich, was an meiner pianistischen Zusammenarbeit mit herausragenden Künstlern dieses Stimmfachs liegt. Neben dem Schwergewicht Neue Dichter Lieben – einem Zyklus mit einer Länge von einer Stunde – gibt es auch weitere, kürzere Zyklen und einzelne Lieder, von denen hier die meisten versammelt sind. Alle Lieder sind Ersteinspielungen.
Paradies Berlin entstand für das Projekt »Le Lied«, das ich im Jahr 2003 gemeinsam mit dem Bariton Thomas Bauer und Komponistinnen und Komponisten aus vier Ländern (Deutschland, Österreich, Schweiz und Frankreich) für das aDevantgarde-Festival realisierte. Die Gedichte von Birgit Müller-Wieland sind lakonische Betrachtungen aus ihrer Zeit als Österreicherin in Berlin, Alltagsszenen, in denen das Poetische aufscheint wie ein flüchtiger Moment, wie zum Beispiel in den Gedanken einer Zugreisenden oder in der Beschreibung skurriler Szenen »im Haus gegenüber«. Ich habe diese Gedichte mit feiner Ironie und Hang zur Lautmalerei vertont. So sprühen in Silvester auch pianistisch »Raketen«, während im Stadtgespräch die »Flüche« in rhythmische Aktionen auf dem Klavierrahmen münden. In Im Haus gegenüber wird auch die »vierte Wand« zum Publikum durchbrochen – der Sänger zeigt dem Publikum Zettel, auf denen Teile des Gedichts zu sehen sind, die nicht gesungen werden (und wirft dann den später zerknüllten Zettel hinter sich). Wie oft in meinem Liedwerk überlagern sich hier die klassischen Geschlechterrollen – die Texte aus weiblicher Perspektive werden hier bewusst von einem Mann gesungen, während in anderen meiner Lieder Frauen die männliche Perspektive einnehmen.
Krausseriana wurde für den Bariton Thomas Berau geschrieben, der in zwei meiner Opern die Hauptrolle sang (Die Schnecke und Wir sind daheim, beide in Mannheim uraufgeführt) und diesen Zyklus 1997 privat in Auftrag gab. Ich bat meinen Freund Helmut Krausser um eine Auswahl von zwölf Gedichten, daher der auf Schumann anspielende Titel Krausseriana (auch das zwei Jahre später entstandene Neue Dichter Lieben weist auf Schumann hin). Helmut Kraussers sehr konzentrierte und nüchterne Sprache – manche der Gedichte sind nur zwei Zeilen lang – inspirierte mich zu extrem verdichteten Liedminiaturen, die sich auf das Wesentliche konzentrieren. Hierbei werden unterschiedlichste kompositorische Ansätze verfolgt: In komm strandlesen werden immer dieselben Zeilen des kurzen Gedichts wiederholt, während sich die Musik auf komplexe Weise zunehmend verlangsamt, in nur hügel? wiederum wird jede Zeile komplett unterschiedlich vertont, zum Teil mit Bezug auf die vorangegangenen Lieder. Der Zyklus endet mit dem längsten Lied, Cembalomusik, bei dem der Pianist über ein intensives Ostinato in den Flügel greift, um »Ton um Ton« Melodien zu zupfen, die sich mit dem normalem Klavierklang apart vermischen.
Das Büchner-Porträt entstand 1996–1997 als Auftrag Claudio Abbados für die Berliner Festwochen und wurde von Johannes M. Kösters und mir am Klavier uraufgeführt. In meinem Liedschaffen ist dieses fast 18 Minuten lange Lied nach Texten von und um Büchner (unter anderem wurde auch ein Steckbrief über Büchner verwendet) ein Unikat. Bei näherer Betrachtung sieht man aber, dass es sich eigentlich um einen richtigen kleinen Zyklus handelt, bei dem bestimmte musikalische Stimmungen immer wieder neu aufgegriffen und jeweils in Variationen anverwandelt werden, während die einzelnen Lieder in einer Art Rondo-Form immer wieder ohne Pause ineinander übergehen. Das Lied verlangt sowohl dem Sänger als auch dem Pianisten sehr viel ab, was die rhythmische Organisation angeht, teilweise wird der Pianist auch gleichwertig zum Sänger als Sprecher und Kommentator eingesetzt. Aber auch die lyrischen und expressiven Passagen gehen zum Äußersten, sowohl was den Ausdruck als auch die extremen Tonhöhen angeht. Es scheint, dass eine Biografie wie die von Büchner auch eine »krasse« Musik forderte, dennoch kennt das Stück auch zärtliche und stille Momente, die in starkem Kontrast zum Rest stehen.
Auch Ein Dichter stirbt (2004 komponiert nach Gedichten von Ludwig Steinherr und uraufgeführt in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste von Thomas Bauer und mir am Klavier) ist ein »verborgener« Zyklus, denn hier gehen vier Lieder ebenfalls ansatzlos ineinander über. Ludwig Steinherr hat hier seine Eindrücke vom Totenbett eines Dichterfreundes notiert, daher dominiert über weite Strecken des Stücks ein vom Klavier repetiertes »elektronisches« Signal, wie von einem medizinischen Überwachungsgerät, das neben einem Krankenbett steht. In der Folge entwickelt sich die Musik im Kontrast zu diesem unerbittlichen Geräusch zu einem immer größer werdenden lyrischen Atem, als ob man in die immer noch lebendige Gedankenwelt des sterbenden Dichters eintaucht. Am Schluss bleibt nur ein sanfter Abschied, den ich mit großer Zartheit und Zurückhaltung in irreal wirkende Klänge tauchen wollte, während der Bariton immer wieder in der zerbrechlichsten Falsettlage singt.
Verschmähte Liebe und plakativ gehören beide thematisch zum Zyklus Neue Dichter Lieben (1999 / 2000), entstanden aber erst kurz danach als »Appendix« und erschienen daher bisher nicht auf CD. In Verschmähte Liebe vertonte ich die schnöde Absage eines der angefragten Dichter, dabei verletzte Eitelkeiten auf beiden Seiten offenlegend, während plakativ eine komplette Vertonung der ersten erschienenen (schlechten) Kritik des Zyklus ist, wobei das, was der Kritiker dem Komponisten vorwirft, mit besonderer Übertriebenheit dargeboten wird. Beide Lieder werden gerne als Zugaben zu Neue Dichter Lieben gegeben.
Das letzte Stück der Auswahl – ausklang – entstand im Rahmen der Neue Dichter Lieben – Münchener Edition beim aDevantgarde-Festival 2001, bei dem 20 Komponistinnen und Komponisten mitwirkten, darunter auch ich selbst (als Komponist und Pianist); die Lieder wurden von Thomas Berau und Martina Koppelstetter gesungen. Albert Ostermaiers Gedicht beschwört die letzten Stunden Franz Schuberts herauf, der bekanntermaßen noch auf dem Sterbebett Der letzte Mohikaner las. Der Sänger singt hier nicht nur den Text Ostermaiers, sondern markiert stumm echte Texte nordamerikanischer Ureinwohner und spielt die Saiten im Inneren des Flügels. Eine Besonderheit des Liedes sind extreme dynamische Unterschiede, die vom äußersten pianissimo bis zum fortissimo reichen, die zum Teil schnarrenden Nebengeräusche der tiefen schwingenden Saiten sind hierbei intendiert. Auch Schubert selbst kommt – leicht verfremdet – zu Wort.
Moritz Eggert, 18. Dezember 2021

Programm:

Paradies Berlin (2003) 13:14
auf Gedichte von Birgit Müller-Wieland
[01] 1. Silvester 02:25
[02] 2. Berlin Mitte 02:45
[03] 3. Stadtgespräch 01:15
[04] 4. Im Haus gegenüber 03:03
[05] 5. Paradies Berlin 03:46

Krausseriana (1998) 19:21
auf Gedichte von Helmut Krausser
[06] I karg 00:55
[07] II hügelkuppen 01:51
[08] III machen 00:42
[09] IV stilleben 00:59
[10] V Wespenhonig 01:33
[11] VI komm strandlesen 02:35
[12] VII Poem 02:00
[13] VIII tiger 01:03
[14] IX Wurm am Wundenrand 00:45
[15] X Schatten 01:09
[16] XI nur Hügel 01:49
[17] XII Cembalomusik 04:00

[18] Büchner-Porträt (1996 / 1997) 15:59
Collage auf Texte von und über Georg Büchner
1. Nacht
2. Steckbrief des großherzoglich hessischen Hofgerichts der Provinz Oberhessen
3. Stammbuchblatt für Heinrich Ferber
4. An die Familie

[19] Ein Dichter stirbt (2004) 10:49
auf Gedichte von Ludwig Steinherr

Neue Dichter Lieben – Appendix (2000) 02:14
[20] Verschmähte Liebe auf einen Text von Thomas Kling 01:26
[21] plakativ auf einen Text von Ludolf Baucke 00:48

[22] ausklang (2001) 05:14
auf ein Gedicht von Albert Ostermaier

Gesamtspielzeit 67:45

Peter Schöne, Bariton
Moritz Eggert, Klavier

Ersteinspielungen

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