H.E. Erwin Walther: Vocal Music

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Artikelnummer: NEOS 11210 Kategorie:
Veröffentlicht am: Januar 10, 2013

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H. E. ERWIN WALTHER · LIEDER

Die viel zitierte Selbsteinschätzung H. E. Erwin Walthers, er sei als Komponist »ein bunter Vogel«, trifft auf sein Liedschaffen in besonderem Maße zu. In seinem über einen Zeitraum von mehr als 50 Jahren sich erstreckenden Œuvre für Singstimme und Klavier stehen Romantische Lieder neben der Tragödie vom Huhn und vom Kirchturmhahn, finden sich Wilhelm-Busch-Chansons ebenso wie die auf der vorliegenden Einspielung vertretenen Vertonungen spanischer Lyriker, kommen in ein und demselben Lied (Tag ist aus dem Emmerig-Zyklus) Zwölftonverfahren und (im weitesten Sinne) aleatorische Elemente zum Einsatz. Stets, das zeigen auch die hier ausgewählten Stücke, nimmt Erwin Walther dabei die jeweilige Textvorlage – dies kann ein Gedicht Ingeborg Bachmanns oder ein in die Form eines »Sprechliedes« gefasster kleiner Reimscherz sein – sehr genau in den Fokus.

Von dort aus ist die Wahl der Ausdrucksmittel bestimmt, sei es in den mal eng an der Gesangslinie orientierten, mal höchst eigenständig gestaltenden Klavieranteilen, sei es in den häufig in Grenzbereiche des Stimmumfangs und über die Grenze zum Gesprochenen hinaus geführten Vokalparts. Die stilistische Bandbreite weist Walther dabei als einen Komponisten aus, der die zeitgenössischen Idiome sehr genau zur Kenntnis genommen hat, der andererseits aber mit einem gewissen Eigen- und Hintersinn einen Weg eingeschlagen hat, der sich keiner bestimmten Strömung fest zuordnen lässt. Von dieser Freiheit des Zugriffs profitieren seine Auseinandersetzungen mit den ihrerseits stilistisch vielgestaltigen Vorlagen durchweg.

Mit den Vier Liedern nach spanischen Texten (1989) wandte Erwin Walther sich vier der bedeutendsten Lyriker Spaniens der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu. Den Schlüsselbegriff für seine kompositorische Anverwandlung lieferte ihm der Name der Gedichtsammlung, der Federico García Lorcas Memento entstammt: Das »Poema del cante jondo« (1921 entstanden, zehn Jahre später veröffentlicht) stammt aus dem Umfeld der Wiederbelebung des authentischen Flamenco-Gesangsstils, die Lorca zusammen mit Manuel de Falla initiiert hatte.

»Cante jondo« bedeutet »tiefer Gesang«, womit die Tiefe der Empfindung gemeint ist, die sich in einer metrisch freien, an einem Zentralton orientierten, melismatisch-expressiv verschleifenden Vokallinie äußert. Auf diesen Gesangsstil spielt Walter vor allem im »wenn dereinst ich sterbe« des Memento an und greift ihn konsequenterweise im »wenn ich sterbe« aus Juan Ramón Jiménez’ Ich bin nicht ich wieder auf.

Ein weiteres die Flamenco-Tradition evozierendes Gestaltungsmerkmal ist das Aufgreifen gitarristischer Elemente im Klavierpart: das eröffnende Wechselnotenmotiv in Platz (nach Antonio Machado), die wie extemporiert wirkenden Arpeggien zu Beginn des Memento (»klingende Zäsuren nach Gefühl« schreibt Walther vor) und die »wie gezupft« anzuschlagenden Basstöne zu Rafael Albertis Getäuscht hat sich die Taube.

Letztere verlieren hier aber, ebenso wie das chromatisch um einen Ton kreisende Gesangsmotiv zu »hat sich getäuscht« mehr und mehr ihre folkloristische Färbung. Das genaue, dabei nie starre Eingehen auf die formalen Besonderheiten der lyrischen Vorlagen und die dann auch immer wieder in weite Intervallfolgen sich aufspreizenden Melodielinien verleihen der Liedfolge ihren spezifischen Tonfall.

Mit dem Komponisten und Autoren Thomas Emmerig war Erwin Walther über die in den 1970er-Jahren aktive Künstlergruppe »Eckiger Kreis« verbunden. In dem 1979 nach dessen Texten entstandenen Sechs Liedern für Sopran und Klavier greift Walther einerseits auf zwölftonbasierte Verfahren zurück (Tag ist), lässt andererseits aber den Interpreten gewisse Freiräume bei der Gestaltung. So ist die Klavierstimme zu Beginn von Die Gräsernen so zu realisieren, dass die vorgegebene Auswahl von sechs Zweiklängen (aus dem Material einer Zwölftonreihe) »in unterschiedlichster Reihenfolge und zeitlicher Dichte« gemischt wird, worüber wiederum die Singstimme sich metrisch eigenständig bewegen kann.

In Ich höre dich rufen sind die frei zu rhythmisierenden Parts von Gesang und Klavier immer wieder miteinander verzahnt. Ein weit gespannter Ambitus (bis zum dreigestrichenen es) und gesprochene Passagen sind darüber hinaus für den Vokalpart charakteristisch. Im Klavier reicht die Bandbreite von pointiert gesetzten Einzeltönen über impressionistische Klangwirkungen bis hin zu jenem stumm gedrückten Cluster, der am Ende des Zyklus von einem finalen Basston zum Klingen gebracht wird.

Eine eher locker gefügte Abfolge bilden die fünf hier eingespielten Lieder für Tenor und Klavier. Sind die englischen bzw. französischen Balladen Die Nachtigall und Entwischt (1953) in variierter Strophenform mit loser tonaler Orientierung gestaltet, so verdichtet sich, den gehaltvolleren Vorlagen entsprechend, der Ausdrucksradius in den Drei Gesängen für Tenor und Klavier (Vertonungen von 1956). Nach einer gewichtigen Klaviereinleitung wird die zunächst schlichte Vokallinie zu Hermann Stahls Gedicht Schwüler Tag immer weiter expressiv aufgeladen, bevor dann die pedalverhangenen Klavierarpeggien von »Gewitter Orgeln« künden.

Zu Stern hängt dicht überm Dach (nach einem Gedicht des Ernst-Barlach-Freundes und -Dokumentaristen Friedrich Schult) zieht der »wohlgesinnte Mond« einen breit ausgesungenen Lichtstreifen über ruhige Akkordfortschreitungen, bis er von blasenden Fröschen und einem trottenden Igel unterbrochen wird. In Ingeborg Bachmanns viertem Psalm aus dem Band Die gestundete Zeit spürt Walther eine wortklangliche Analogie zwischen den Passagen »Mulde meiner Stummheit« und »mein Mund ganz im Schatten« auf und vertont sie entsprechend parallel, wobei aber im zweiten Fall ein Höhepunkt angesteuert wird. Am Ende setzt das Klavier dem Versinken im »Schatten« der Gesangsstimme einen unwirklichen pianissimo-Ton in höchster Lage entgegen.

Einen bewusst unprätentiösen Tonfall schlagen die Vier heiteren Lieder für Sopran und Klavier von 1960 an, in denen das Klavier einerseits die Singstimme stützt, andererseits ironische Akzente setzt. In Eugen Roths Ein Mensch findet sich die Gesangsstimme nach chromatischen Irrungen mit der Schlussharmonie D-Dur ab, das Kästnersche Geh in dich illustriert ein »Gang« über zwei Oktaven, in Christian Morgensterns Lied vom Hasen blickt, nachdem die Punktierungen des Hasen und des ihn betrachtenden Menschen nicht bis Drei zählen zu können scheinen, »mild und stumm« ein Gott herab.

Reizvolle, zwischen Schalk und Melancholie changierende Miniaturen bilden die Zwölf Sprechlieder für Sprecher und Klavier von 1987. Über mitunter vertrackten Klavier-Charakterstücken setzt der metrisch nicht fixierte, nur selten am Begleitrhythmus auszurichtende gesprochene Part den Charme der kleinen Gereimtheiten und Ungereimtheiten mit heiligem Unernst frei.

Juan Martin Koch

Programm:

Vier Lieder nach spanischen Texten (1989)
Four Songs on Spanish Texts for baritone and piano
[01] Platz (Antonio Machado y Ruiz) 02:02
[02] Memento (Federico García Lorca) 03:17
[03] Getäuscht hat sich die Taube (Rafael Alberti) 03:05
[04] Ich bin nicht ich (Juan Ramón Jiménez) 03:37


Drei Gesänge für Tenor und Klavier
 (1956)
Three Songs for Tenor and Piano
[05] Schwüler Tag (Hermann Stahl) 04:26
[06] Stern hängt dicht überm Dach (Friedrich Schult) 01:24
[07] Psalm (Ingeborg Bachmann) 01:38


Sechs Lieder für Sopran und Klavier
 (1979)
Six Songs for Soprano and Piano on texts by Thomas Emmerig
[08] Gibt es noch Blumen 02:56
[09] Tag ist 02:12
[10] Die Gräsernen 02:15
[11] Ich höre dich rufen 02:21
[12] Winter um uns 02:50
[13] Watvögel 02:38


Zwei Lieder für Tenor und Klavier
 (1953)
Two Songs for Tenor and Piano
[14] Entwischt (French ballad) 05:16
[15] Die Nachtigall (English ballad) 04:42


Vier heitere Lieder für Sopran und Klavier
 (1960)
Four Cheerful Songs for Soprano and Piano
[16] Früher, da ich unerfahren (Wilhelm Busch) 00:48
[17] Ein Mensch (Eugen Roth) 00:29
[18] Geh in dich (Erich Kästner) 00:32
[19] Das Lied vom Hasen (Christian Morgenstern) 01:07


Zwölf Sprechlieder für Sprecher und Klavier
 (1987)
Twelve Speech-Songs for Speaker and Piano
[20] 1. So wie der (Werner Dürrson) 00:23
[21] 2. Eine Kaulquappe (Michael Benke) 00:35
[22] 3. Eine Mücke (Michael Benke) 00:53
[23] 4. Durch Baumkronen (Charlotte Ueckert) 01:07
[24] 5. Verwirrung (Margarete Jehn) 00:48
[25] 6. Im Garten (Alfons Schweiggert) 00:55
[26] 7. Der Zahn (Günter Spang) 01:03
[27] 8. Ein Schauder (Jürgen Spohn) 00:57
[28] 9. Der Nebel (Wolfgang Bächler) 01:31
[29] 10. Geschichte (Johannes Poethen) 02:39
[30] 11. Der Abend im Frack (Wofgang Bächler) 02:02
[31] 12. Großstadtabend (Lisa-Maria Blum) 03:01

total time: 64:03

 

Yvonne Friedli soprano
Joachim Vogt tenor
Wolfram Teßmer baritone
Frank Gutschmidt piano

Pressestimmen:


03/13

 


21.02.2013

Avantgardist aus der Oberpfalz
Musik des 1995 verstorbenen Amberger Komponisten H.E. Erwin Walther erlebt eine kleine Renaissance: Seine Tochter präsentierte in der Heimatstadt zwei neue CDs

Von Michael Scheiner, MZ

Amberg. „Er war knurrig, gradaus, für uns aber auch ein herausragender Pädagoge!“ Bei der Präsentation zweier CDs im Amberger Stadttheater plauderte Bürgermeister Michael Cerny ein wenig aus dem Nähkästchen. Er habe den Komponisten H.E. Erwin Walther, um dessen Musik es bei der Vorstellung im Bühnenraum ging, noch selbst in seiner Schulzeit erlebt. Als einen Musiklehrer, der „ein bisschen anders war“. „Noten?“ fragte Cerny verschmitzt, um nachzuschieben, „…haben wir auch gelernt.“ Damit sprach er ein ganz wichtiges Element des musikalisch-künstlerischen Schaffens des 1995 verstorbenen Ambergers an: die graphische Notation. „Wir haben auch viel Musik gezeichnet“, berichtete Cerny, „und danach musiziert.“

Mit dieser ungewöhnlichen Methode habe Walther seinen Schülern einen anderen Stil erlebbar gemacht. Ein Stil, der noch heute Musikliebhabern und -hörern manchmal nicht ganz geheuer ist. Gezeichnete Partituren, die ohne Noten auskommen und wie ein Bild oder eine Zeichnung auf dem Notenpult eines Musikers liegen, erlebten in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts ihre Blüte als besondere Ausprägung der zeitgenössischen, modernen Musik. Walther war stilistisch und künstlerisch sehr vielseitig unterwegs. In einem halben Jahrhundert hat er ein ungewöhnlich breit gefächertes Gesamtwerk aus Liedern, Kammermusik, Orchester- und Chorwerken, Filmmusiken und Bühnenwerken geschaffen, darunter mehrere hundert grafische Arbeiten. Diese „Audiogramme“ genannten „Aktionsfelder“ sollten eine „Beziehung herstellen zwischen Graphik und Akustik“, wie er selbst einmal notierte.

Ernstes, Heitereres, Verrätseltes

Aus diesem reichen Nachlass sind jetzt vier Stücke – eines zweimal – eingespielt worden, neben neun konventionell notierten Kompositionen für Klarinette und Klavier. Produziert vom Studio Franken des Bayerischen Rundfunks in der Nürnberger Meistersingerhalle, sind sie unter dem Titel „Chamber Music“ bei Neos Music, einem renommierten Münchner Label für neue Musik, veröffentlicht worden. Interpreten sind der Klarinettist Ib Hausmann, Peter Bruns am Cello und der Pianist Frank Gutschmidt. Letzterer hat auch am zweiten Album „Vocal Music“ mitgewirkt, welches im gleichen Zeitraum, im Februar vor einem Jahr, ebenfalls vom BR in Nürnberg aufgenommen wurde.

Es enthält 31 Lieder, unterteilt in fünf kleinere und größere Zyklen, die zwischen fünf und manchmal nur einer halben Minute lang sind. Wie die Instrumentalstücke sind auch die teils ernsten, teils humoristisch heiteren und surreal verrätselten Lieder stilistisch kunterbunt gehalten. Souverän nutzte Walther stilistische Formen von der Spätromantik über den Impressionismus und die Zwölftonmusik bis hin zu den avanciertesten Ausdrucksmitteln der damaligen Avantgarde, verwendete frei von der Leber weg volksmusikalische Elemente, wie den Zwiefachen, und Jazz wo es ihm angebracht erschien. Seine Lieder schrieb er über Gedichte und Texte von Ingeborg Bachmann, Federico Garcia Lorca, Wilhelm Busch und Erich Kästner, den Regensburger Musikwissenschaftler Thomas Emmerig und viele andere Autoren. Das alles macht Walthers Schaffen – und damit die sorgfältig editierten und höchst ansprechend gestalteten Tonträger in vorzüglicher Interpretation – bis heute ungemein spannend und abwechslungsreich. Da steht schwer Verdauliches neben Heiterem, ein luftiges Stück neben höchst anspruchsvollen Vokalparts. Souverän werden diese, gelegentlich fast unsingbar erscheinenden Tonsprünge und Höhen, von der Sopranistin Yvonne Friedl, Tenor Joachim Vogt und dem Bariton Wolfram Teßmer bewältigt, die auch bei der Präsentation dabei waren.

Die Tochter hält das Werk lebendig 

Einen großen Anteil daran, daß die Musik Walthers heute verlegt und gespielt wird, hat die Kunsthistorikerin Michaela Grammer, Tochter des Komponisten. Engagiert erzählte sie im Amberger Stadttheater, wie sie zusammen nach dem Tod des Vaters mit ihrer Mutter „waschkörbeweise Kritiken, Skizzen, Partituren und Archivausschnitte“ sichtete und ordnete. Als erste Dokumentation ist daraus 1998 eine Monografie (Band 36) des Bayerischen Tonkünstlerverbandes über H.E. Erwin Walther erschienen. Etwas später folgten im Stuttgarter Ikuro Verlag zahlreiche Partituren und nunmehr die beiden empfehlendwerten CDs.

www.mittelbayerische.de

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