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Friedrich Cerha: Chamber Music

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Artikelnummer: NEOS 10921 Kategorien: ,
Veröffentlicht am: Januar 30, 2012

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Präambel

Von György Ligeti stammt das Wort, er sei nicht Minimalist, sondern Maximalist. Nicht zufällig hegte das strenge Genie eine hohe Wertschätzung für seinen Kollegen Friedrich Cerha, und nicht zufällig nannte Ligeti diesen einen »Wienerischen Untertreiber«.

Auch Cerha hat sich der Kunst mit jenem kompromisslosen geistigen Ernst verschrieben, der die Wiener Avantgarde seit je auszeichnete, gerade in der Konfrontation mit dem intrigenhaften Traditionalismus der Stadt. Dabei geht ihm jede Allüre ab, sowohl die des Kunstmissionars als auch die des reinen Originalgenies deutscher Bauart. Typisch ist für Cerha eher die subkutane, wuchernde Vernetzung der musikalischen Ereignisse, wienerisch entgrenzend und abgründig durchaus, dabei von intransigenter Radikalität …

Das Ethos, zu sagen, was man zu sagen hat, ist unvereinbar mit der Unterwerfung unter ästhetische Dogmen und probate Strategien der Symbolverwertung. Cerha ist daher kompositorisch nicht klassifizierbar … Parallel zu Ligeti, Xenakis und Lutoslawski entwickelte er Ende der 1950er Jahre eine eigene Weise der Komposition mit Klangflächen und Texturen, etwa in dem exorbitant schwierigen Spiegel-Zyklus für Orchester von 1960/61.

Spätere Stücke, darunter vor allem die Opern BaalDer Rattenfänger und Der Riese vom Steinfeld, kennen tonale und kantable Elemente, die immer wieder zum Vergleich mit Alban Berg gereizt haben, wobei manchmal allerdings Cerhas Vollendung der Berg-Oper Lulu zu einer Verschlagwortung seiner Musik geführt hat, die ihrem Individualismus in keiner Weise gerecht wird.

Cerha ging es niemals um die bloße eklektizistische Buntheit oder gar um ästhetische Zugeständnisse, sondern im Gegenteil um die Bewältigung jener Quadratur des Zirkels, die zu einem Grundproblem der Neuen Musik gehört: mit den Artikulationsmöglichkeiten kompositorisch differenzierter Musik den Hörer möglichst unverstellt zu adressieren, also Konstruktion mit Ausdruck oder auch organischem Gestaltwachstum zu vereinen.

Julia Spinola

Kammermusik mit Klarinette

Nach meiner Auseinandersetzung mit Neoklassik, Wiener Schule und dem Serialismus habe ich in meinem Orchesterzyklus Spiegel (1960/61) eine von allen traditionellen Formulierungen freie Klangsprache entwickelt, die sich allerdings von Gleichzeitigem bei Ligeti, Xenakis oder Scelsi durch einen hohen Grad von emotional mitvollziehbaren Entwicklungsvorgängen unterscheidet, der sie – frei von Materialbezügen – auf gewisse Weise mit meinem musikalischen Wurzelgrund verbindet.

Schon im Ensemble-Werk Exercises (1962–67) habe ich aber begonnen, puristische Strukturen mit ›Regressen‹ interagieren zu lassen, die deutliche Beziehungen zu verschiedenen Sprachidiomen aus unserer europäischen Tradition aufweisen. Ich wollte auf Qualitäten, die ich liebe, nicht verzichten und sie mir schrittweise wiedererobern. In meiner Oper Baal (UA 1981) ist mir schließlich ein nahtloses Verweben aller meiner bisherigen Erfahrungen in einem musikalischen Organismus gelungen.

Zwischen diesem Werk und der auf dieser CD vereinigten Kammermusik liegen weitere ›Austritte‹ in für mich Neues, u. a. meine Auseinandersetzung mit außereuropäischer Musik. Auch die seit 2000 entstandenen Werke gehören verschieden gewichteten Perioden in meinem Schaffen an.

Fünf Stücke für Klarinette, Violoncello und Klavier (2000)

Die Anregung, mir etwas für Klarinette, Violoncello und Klavier einfallen zu lassen, weil die Musiker sehr nach einem Stück lechzten, das sie zwischen den beiden einschlägigen Werken von Beethoven und Brahms spielen könnten, kam von Heinrich Schiff. Es hat eine geraume Weile gedauert, bis mir dann die Fünf Stücke als eine Hommage zu seinem 50. Geburtstag tatsächlich eingefallen sind. Sie sind nicht einfach aneinandergereihte Sätze, sondern bilden eine zyklische Einheit.

Die Satzfolge entspricht insofern nicht ganz dem tradierten Schema, als das letzte Stück, in dem zunächst zu einer Linie der Klarinette im pp eine wiederholte Glissando-Lamento-Floskel tritt, sehr langsam ist. Im ebenfalls sehr ruhigen ersten Satz tritt zur langsamen Oktavbewegung des Klaviers eine auffahrende ff-Floskel, im dunklen dritten Stück fassen zwei andere rasche Floskeln eine Art Choral im Forte ein, der auch zweimal im letzten Satz erscheint.

Im zweiten Satz, einem im pp dahinhuschenden Presto, und im heftigen vierten Satz spielen verschiedene komplementäre, polyrhythmische Bildungen eine Rolle. Es gibt also direkte und weniger direkte Grade von Verwandtschaft, ehe das Stück in einer, dem Anfang des Werks nur entfernt entsprechenden, insistierenden Viertelbewegung, die jetzt alle Instrumente umfasst und sich bis zum fff steigert, in einem Nachhall des letzten Akkords verklingt.

Acht Bagatellen für Klarinette und Klavier (2009)

In den letzten Jahren hat sich in mir eine Abneigung gegen das monomane Fortspinnen, das ›gearbeitete‹ Ausbreiten musikalischer Ideen entwickelt. Gleichzeitig ist mir die Spontaneität des Einfalls, der ›Blitz‹ der Intuition und seine möglichst knappe, konzise Formulierung immer wichtiger geworden.

Das hat in den Orchesterstücken Momente und Instants zu einer Kleinräumigkeit innerhalb größerer Werke, aber auch zur Entstehung kammermusikalischer Kurzformen wie den Bagatellen für Streichtrio und zwei weiteren derartigen Zyklen für Klarinette bzw. für Flöte und Klavier geführt. Es lag mir daran, in den einzelnen Stücken scharf konturierte, stark unterschiedliche Charaktere zu schaffen, andererseits aber eine überzeugende Dramaturgie des Ablaufs und erkennbare Materialbeziehungen herzustellen.

Anders als die Streichtrio-Miniaturen enthalten die Bagatellen für Klarinette stärkere folkloristische Allusionen. Ich hatte mich erneut mit Klezmer-Musik beschäftigt, deren Melodik mir schon seit den 1950er Jahren vertraut war; sie hat mich sicherlich im dritten Stück (Klarinette solo) und im sechsten, das ›Klezmeriana‹ übertitelt ist, beeinflusst. Zur vierten, fünften und siebten Bagatelle haben eigene Klavierstücke aus meiner Auseinandersetzung mit slawischer Musik, die auf Erfahrungen meiner Kindheit beruhen, den Anstoß gegeben.

Im Verhältnis der Instrumente kommt es in der zweiten Bagatelle zu einem veritablen Kräftemessen, die vierte beschreibt eine vorsichtige Annäherung, während die fünfte humorvoll mit Spaltklängen spielt. Die Titel bezeichnen den in der Musik vorherrschenden Gestus. Natürlich hatte ich beim Schreiben den edlen Klarinetten-Ton von Andreas Schablas im Hinterkopf, der alle meine Werke für dieses Instrument mehrfach aufgeführt hat.

Quintett für Klarinette und Streichquartett (2004)

Das Stück ist sicher mein ›klassischstes‹ Werk aus einer insgesamt in diese Richtung weisenden Periode meines Schaffens, die ich in den erwähnten ›Momentformen‹ bereits wieder verlassen habe. Als ich den Auftrag erhielt, für BNP Paribas ein Streichquartett zu schreiben, hatte es mich allerdings schon seit einigen Jahren zunehmend gereizt, die charakteristische klangliche Substanz eines Soloinstruments einem Kollektiv gegenüberzustellen, bzw. beides aufeinander wirken zu lassen.

So sind ab 2003 ein Saxophonkonzert, ein Violinkonzert, das Klarinettenquintett, eine Musik für Posaune und Streichquartett und ein Oboenquintett entstanden. In der Kammermusik haben mich Interaktionen zwischen dem einprägsamen Charakter eines Soloinstruments und dem besonders homogenen Klang des Streichquartetts gereizt, wobei der klangliche Kontrast im Fall von Posaune und Oboe natürlich größer ist als im zuerst entstandenen Klarinettenquintett.

In der Wahl des Soloinstruments hat hier meine generelle Liebe zur Klarinette, die ich mit Mozart teile, aber auch die Erinnerung an eine besonders schöne Aufführung von dessen Werk für die gleiche Besetzung eine wesentliche Rolle gespielt. Natürlich gibt es keinen direkten musikalischen Einfluss auf mein Stück, aber die Art des klanglichen Wechselspiels von Klarinette und Streichquartett hat mich so gefesselt, dass sie in meiner Phantasie weitergewirkt hat.

Die Charaktere der vier Sätze entsprechen im Prinzip den klassischen Grundlagen, sie sind aber unendlich viel reicher an Wechseln zwischen oft extrem verschiedenen Tempi und Charakteren, an Symmetrien, verlängerten oder verkürzten Varianten von Formelementen und an Möglichkeiten ihrer komplexen Verwebung. Im zweiten, lyrischen Satz gibt es zwar keine Allusionen an Mozart, aber solche an mehr oder weniger zurückliegende eigene Ideen, die mir allerdings im Zeitpunkt des Komponierens nicht bewusst waren. In der Mitte des ›Intermezzo‹ bezeichneten, Scherzo-artigen dritten Satzes habe ich mich hingegen in Form eines rhythmischen Spiels bewusst auf den letzten Satz von Haydns Symphonie Nr. 88 bezogen, die ich heiß liebe.

Dass trotz mancher Anmutungen und Reminiszenzen kein Pasticcio, sondern ein  überzeugender Formverlauf entsteht, entspricht einem generellen Anliegen, das ich jenseits von jeweils verschiedenen Interessen immer verfolgt habe: Ich möchte in meiner Musik Erfahrenes oder heute überhaupt Erfahrbares in komplexen Organismen bewältigen.

Friedrich Cerha

Programm:

Five Pieces for Clarinet, Cello and Piano (2000) 17:14

[01] I Sehr ruhig 03:18
[02] II [Viertel=108] 02:28
[03] III [Viertel = 46] 03:07
[04] IV Heftig 02:13
[05] V ruhig 06:08

Arcus Ensemble Wien
Andreas Schablas, clarinet
Erich Oskar Huetter, cello
Janna Polyzoides, piano

Eight Bagatelles for Clarinet and Piano (2009) 15:46

[06] I Schwerblütig 02:18
[07] II Heftig 00:53
[08] III Sehr frei 02:36
[09] IV Heiter 00:57
[10] V Ungestüm 00:48
[11] VI Klezmeriana 03:53
[12] VII Wütend 00:58
[13] VIII Abgesang 03:23

Andreas Schablas, clarinet
Janna Polyzoides, piano

Quintet for Clarinet and String Quartet (2004) 21:36

[14] I Stürmisch 05:09
[15] II Sehr ruhig 08:32
[16] III Intermezzo 02:58
[17] IV Energico 04:57

Andreas Schablas, clarinet
Hugo Wolf Quartett
Sebastian Gürtler, violin
Régis Bringolf, violin
Gertrud Weinmeister, viola
Florian Berner, cello

total time 54:45

Pressestimmen:


21.06.2012

Lob der Langsamkeit

Der Klang, seine Farbe, die Gestalten und Bilder, die daraus erwachsen: all dies bestimmt die Musik Friedrich Cerhas, der morgen den Siemens-Musikpreis erhält.

[…] Ausschließlich Werke jüngeren Datums finden sich auch auf dem Album des Labels NEOS mit Kammermusiken Cerhas in Ersteinspielung. Den Auftakt machen fünf smarte Miniaturen für Klarinettentrio von 2000 […] Andreas Schablas, Soloklarinettist der Bayerischen Staatsoper, verleiht den Melodielinien einen sprechenden, üppig blühenden Tonfall, Ernst Oskar Hütter (Violoncello) und Janna Polyzoides (Klavier) begleiten ihn mit Delikatesse.

Folkloristisch inspiriert klingen die Acht Bagatellen für Klarinette und Klavier von 2009.

Ein eher klassisch konzertierendes, fast retrospektives Werk ist das Klarinettenquintett von 2004, gespielt von Schablas und dem Hugo Wolf Quartett. […]

Eleonore Büning

 


23.06.2012

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