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Erwin Schulhoff, Jean Sibelius, Leoš Janáček: String Quartets

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Artikelnummer: NEOS 11006 Kategorien: ,
Veröffentlicht am: Oktober 19, 2012

Infotext:

Streichquartette von Schulhoff – Sibelius – Janáček

Drei markante Beiträge zur Quartettliteratur im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts: Zwei rhythmisch-impulsive Werke, die in den 1920er Jahren Furore machten, und als Kontrast dazu ein lyrisches Bekenntnis der Jahrhundertwende. Zwei Vorzeigewerke aus der Avantgarde der jungen tschechoslowakischen Republik, und dazwischen die ältere, herb-introvertierte Musik des großen finnischen Nationalkomponisten, in dem schon die Kühnheiten seiner Spätzeit schlummern. Drei Temperamente, drei Lebensalter, drei Ausdrucksformen stehen einander gegenüber, ergänzen einander und lassen etwas vom Perspektivenreichtum ihrer Epoche ahnen.

Erwin Schulhoff – Streichquartett Nr. 1

Ein brillanter Pianist, der gelegentlich eigene Stücke spielt – das war das Image von Erwin Schulhoff, bis er als Quartettkomponist den Durchbruch schaffte. Die Fünf Stücke von 1923, in denen er sich mit slawischer Folklore auseinandersetzte, begeisterten das Tschechoslowakische Streichquartett (Zika-Quartett genannt, nach dem Ersten Geiger Richard Zika und dem Cellisten Ladislav Zika). Dieses Ensemble spielte am 3. September 1925 auf dem Festival der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik in Venedig auch Schulhoffs neuestes, als Nr. 1 gezähltes Quartett.

Virtuose Aktionen werden darin durch Klangfarben-Effekte – Spiel mit dem Dämpfer, auf dem Steg, mit dem Bogenholz – in ein unwirkliches Licht getaucht. Im Presto con fuoco dominieren Rauheit, Härte, spröder Glanz des Tons. Leere Quinten toben durch den Bühnenraum, nehmen ihn in Besitz und werden von gezischten Kommentaren konterkariert.

Im Allegretto con moto e con malinconia grotesca (mit einer Melancholie, die das Groteske streift) umgibt eine silbrig-flüchtig fröstelnde Begleitung die Melodie. Rhythmisch packend ist das Allegretto giocoso alla Slovacca: ein stilisierter, mit exotischem Zwischenspiel verfremdeter Tanz. Nachbilder, Schatten, Reflexe spuken im Andante molto sostenuto durch den Kopf: traumverlorene Kadenzen über leisen Tremoli. Ein sanfter Wind, der über die Felder geht, die Halme streift.

Für kurze Zeit war Schulhoff gefragt, bekam Aufträge, hatte Erfolg. In den 1930er Jahren verschlechterten sich seine Arbeitsbedingungen. Er litt unter dem Nationalitätenstreit in der Tschechoslowakei und verlor 1939 als Jude seine Anstellung als Rundfunkpianist. Im Vertrauen auf ein baldiges Ende der nationalsozialistischen Besatzung versäumte er die Möglichkeit zur Emigration. 1942 starb er als Häftling in einem Internierungslager für Ausländer auf der Wülzburg bei Weißenburg in Mittelfranken. Das Finale seines dort geschriebenen letzten Werkes, der 8. Sinfonie, blieb ein Fragment.

Jean Sibelius – Streichquartett in d-moll, op. 56 »Voces intimae«

Ein sinfonisches Bekenntniswerk im kleinen ist das d-moll-Quartett von Jean Sibelius, begonnen um 1900, beendet im Frühjahr 1909 in London. Uraufgeführt wurde es am 25. April 1910 im Musikinstitut Helsinki mit dem Primarius Viktor Nováček, der auch als Solist des Violinkonzerts mit Sibelius zusammengearbeitet hatte.

Ruf und Antwort eröffnen im freien Andante-Tempo den ersten Satz, der sich mit einem Unisono-Crescendo zum Allegro molto moderato beschleunigt: zu einer fließenden Bewegung, die ins Weite ausgreift, sich verwandelt, innehält und mit jedem Neuansatz an Intensität gewinnt. Im Vivace wird eine rhythmische Wendung aus dem Kopfsatz neu verarbeitet, neu erlebt und von Pausen des Schweigens durchschnitten.

Emotionaler Mittelpunkt des Werks ist das Adagio di molto. Sein Thema stammt aus einer Klavierminiatur, dem Adagio in E von 1907. Hier entwickelt sich dieser Gedanke zu einem quasi orchestralen Satz von höchster Ausdruckskraft. Wie verloren, wie aus der Zeit gefallen erklingen dazwischen drei leise e-moll-Akkorde. Sibelius bezeichnete diese gegenüber einem Freund als geheime Schlüsselworte seiner Seele, als »voces intimae«.

Das folgende Scherzo, Allegretto (ma pesante), überwindet Schwere und Düsterkeit, streift sie ab und bereitet das Finale vor: Herbe Unisono-Passagen und die Nervosität springender Bögen, Espressivo-Klangkraft und tänzerischer Schwung verbinden sich darin zum rauschhaften Allegro.

Leoš Janáček – Streichquartett Nr. 1 »Kreutzersonate«

Beim Lesen der Werke von Leo Tolstoi juckte es Leoš Janáček in den Fingern. Er machte Skizzen für zwei Opern: Anna Karenina (1907) und Der lebende Leichnam (1916). Sie blieben unausgeführt. Die Handlung der Novelle Die Kreutzersonate (ein Wahnsinniger erzählt in einem Eisenbahnabteil, wie er seine Frau umgebracht hat, weil er es nicht ertrug, sie mit einem anderen musizieren zu sehen) inspirierte ihn zu einem Klaviertrio (1908/09), das verloren ging – und zu seinem späten Ersten Streichquartett.

Wie ein Filmregisseur arbeitet Janáček hier mit schnellen Schnitten, baut Spannung auf, schafft eine Atmosphäre der bangen Erwartung – und überlässt es unserer Fantasie, auf welche Situationen der Novelle er sich jeweils konkret beziehen könnte. Lebhaft springt er im 1. Satz zwischen Adagio (h–e–fis–e–dis–h) und Con moto hin und her.

Im 2. Satz umgibt er ein elegantes Thema mit verdächtig huschenden Zweiunddreißigsteln und verwandelt lieblich schillernde Tremoli in Zeichen von Angst. Den zaghaften Beginn des 3. Satzes versieht er mit aggressiven Einwürfen. Trauernd lässt er im Finale die Eingangsmelodie des 1. Satzes wiederkehren – und eine überraschende Wendung nehmen: Die Erzählung des Wahnsinnigen hat keine Macht mehr; die Hoffnung auf Katharsis, auf Überwindung der im Menschen lauernden Gewalt wird zu einem Hymnus auf das Leben in seiner Fülle, Widersprüchlichkeit und Unwiederbringlichkeit.

Die Uraufführung fand am 17. Oktober 1924 im Prager Mozarteum statt. Es spielte das Tschechische Quartett, dem der Komponist Josef Suk als Zweiter Geiger angehörte. Eine Wiederholung gab es am 4. September 1925 beim IGNM-Festival in Venedig mit dem Zika-Quartett, dem Ensemble, das tags zuvor das Erste Quartett von Schulhoff präsentiert hatte.

Michael Herrschel

Programm:

Erwin Schulhoff (1894–1942)

String Quartet No. 1 (1924) 16:35

[01] I. Presto con fuoco 02:28
[02] II. Allegretto con moto e con malinconia grotesca 04:17
[03] III. Allegro giocoso alla Slovacca 03:12
[04] IV. Andante molto sostenuto 06:38

 

Jean Sibelius (1865–1957)

String Quartet in D minor, op. 56 “Voces intimae” (1909) 30:51

[05] I. Andante – Allegro molto moderato 06:33
[06] II. Vivace 02:34
[07] III. Adagio di molto 10:12
[08] IV. Allegretto (ma pesante) 06:18
[09] V. Allegro 05:14

 

Leoš Janáček (1854–1928)

String Quartet No. 1 “Kreutzer Sonata” (1923) 17:56

[10] I. Adagio – Con moto 04:17
[11] II. Con moto 04:34
[12] III. Con moto 03:55
[13] IV. Con moto 05:10

total time: 65:23

Henschel Quartett
Christoph Henschel, violin
Markus Henschel, violin
Monika Henschel, viola
Mathias Beyer-Karlshøj, violoncello

Pressestimmen:


04/2013

 


01.10.2012

RECORDING OF THE MONTH

Following the success of a number of recordings made by the Munich-based Henschel Quartet any new release from them is cause for celebration. I made their Mendelssohn’s complete string quartets on Arte Nova/BMG my 2005 Recording of the Year. Their world première Neos CD of Bruch’s String Quintet coupled with Mendelssohn String Quintets was on my 2009 best of year list. Their Manfred Trojahn album was one of my best of year selections for 2011. Since making this recording the line-up has changed with second violin Markus Henschel leaving in 2010 to be replaced by Daniel Bell.

The Henschel are doing sterling work championing Schulhoff’s music.Prague-born Schulhoff was one of many victims of the Nazi holocaust killed at the Wülzburg concentration camp, in Bavaria. Virtually forgotten for many years he is beginning to receive the recognition that a major twentieth century composer deserves. I attended a marvellous Henschel performance of Schulhoff’s String Quartet No.1 at the Hoylake Chamber Concert Society, West Kirby in the Wirral as part of their 2011 UK tour. That evening they certainly made a compelling case for the score and I am delighted that they have recorded it.

Probably presenting some minor challenges for the general listener the rewards of the Schulhoff are well worth the extra degree of concentration. The Henschel’s playing of the second movement Allegretto con moto held the attention with an iron grip. I was struck by the myriad fascinating and often ethereal technical effects together with contrasting melodies ranging from the glorious to the grotesque. Vitally rhythmic, Slovak folk rhythms suffuse the third movement Allegro giocoso alla slovacca which is played with supreme confidence by players who savour every note.

In the mid-1980s the Sibelius family donated a number of the great composer’s manuscripts to the Helsinki University Library including some relatively early works for string quartet. In spite of this Sibelius’s chamber music still centres around Voces Intimae quartet, Op. 56. Written in 1908/09 and cast in five movements it has a symphonic feel. Sibelius wrote the phrase ‘Voces intimae’ (Intimate voices) in the manuscript score above the slow third movement. I was especially impressed with the Henschel’s playing of the opening movement Andante – Allegro molto moderato which evinces a squally character with passages of uncertain calm. The heart of the work is the intense third movement Adagio di moto with the Henschel squeezing every last drop of emotion from this melancholic writing. Like a lurid dance a mood of restless agitation colours the Finale. Played at breakneck speed yet with splendid control the writing takes on a furious and reckless quality.

Janáček’s String Quartet No.1 was written very quickly in 1923. He was inspired to write the score by Tolstoy’s dark and disturbing 1889 novella The Kreutzer Sonata. In the opening Adagio – con moto which contains abrupt switching from unsettling agitation to a kind of phoney calm the Henschel play with depth and intelligence. The music of the third movement Con moto (Vivo. Andante) is heavily stamped with aggression and torment bordering on the brutal. The Finale just weeps tragic tears yet leaves faint glimpses of hope.

With this meticulously prepared programme the Henschel explore the darker often melancholy side of chamber music. I hope that for a future CD these talented performers will turn to more uplifting compositions such as quartets from Haydn and Mozart. The recording is clear if a touch close.

Michael Cookson

Read more: www.musicweb-international.com

 


22.09.2012

Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt sich die Musikwelt bereits mit der Wiederentdeckung des Komponisten Erwin Schulhoff (1894-1942). Wissenschaft, Herausgeber, Interpreten und – wenn man so will – auch das Publikum haben in dieser Zeit Achtbares geleistet; und doch kann keine Rede davon sein, dass dieser Prozess in Siebenmeilenstiefeln voranginge. Schulhoff verdient als einer der einfallsreichsten, begabtesten und nonkonformistischsten Vertreter der Neuen Musik sicher weit mehr Aufmerksamkeit, als ihm bislang zuteil wird. Vor diesem Hintergrund mag man enttäuscht sein, dass zwei neue Schulhoff-CDs dieses Jahres nach der fulminanten Einspielung der Ogelala-Suite durch das Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra ausgerechnet das Streichquartett Nr. 1 fokussieren, das nicht gerade als Neuentdeckung in diesem Œuvre gelten kann – andererseits verdient dieses hervorragende Stück moderner Quartettliteratur zweifellos gesteigerte Aufmerksamkeit, zumal es in ganz unterschiedlichen Kontexten präsentiert wird: Einmal innerhalb der kammermusikalischen Kompositionen Schulhoffs aus den Jahren 1923-25, die das Vogler-Quartett bei Phil.Harmonie eingespielt hat, und nunmehr in einer kühnen epochalen Zusammenschau, die das Henschel Quartett bei NEOS wagt. Hier erklingt Schulhoffs impulsive Komposition neben den „Voces intimae“ von Jean Sibelius (1865-1957) und dem Krimi-Streichquartett Nr. 1 „Die Kreuzersonate“ von Leoš Janáček (1854-1928): programmatische Kontraste, die allen drei Stücken zugute kommen, vor allem aber eine gelungene Profilierung Schulhoffs leisten.

So erweist sich das Henschel-Quartett als guter Anwalt dieser ungestümen, aber niemals unkontrollierten oder konturlosen Musik, für die das Ensemble auch in seiner Konzerttätigkeit nachhaltig und wirkungsvoll eintritt. Sicher muss man bei einem derart expressiven, farbenreichen und bissigen Stück vorsichtig mit dem Etikett „Referenzaufnahme“ sein, und in der Tat ist Schulhoffs Streichquartett auch schon sehr überzeugend mit anderen interpretatorischen Ansätzen aufgenommen worden – in Sachen Präzision und Klarheit macht den Henschels allerdings kaum jemand etwas vor, und so gelingt ihnen eine mustergültig transparente, griffige Vorstellung dieses facettenreichen Stoffes.

Danach, wenigstens wenn man die CD in der Reihenfolge durchhört, muss das Streichquartett in d-Moll op. 56 von Jean Sibelius fast zwangsläufig als Spannungsabfall erscheinen, und man wird insbesondere seinem zarten, dialogischen Anfang eher gerecht, wenn man sich nach Track Nr. 4 erst einmal eine Pause gönnt. Vielleicht empfiehlt es sich, ein wenig Rilke zu lesen, oder sich ein passendes Getränk einzuschenken – denn diese Aufnahme des Sibelius-Quartetts erscheint mit etwas Abstand gehört ganz anders, als wenn man sie der Kollision mit Schulhoff ungebremst aussetzt. Erst dann entfaltet die hier gebotene gleichfalls sehr transparente Lesart ihren luziden und herben Reiz, der andernfalls als leicht unterkühlte Nüchternheit empfunden werden mag.

Zwischen Track 9 und 10 hingegen mag es so attacca weitergehen, wie es die Technik erlaubt – denn nach Sibelius „Voces intimae“ fesselt der extrovertierte Furor in Janáčeks Streichquartett Nr. 1 „Die Kreuzersonate“ im Handumdrehen, und ganz offenbar nicht nur die Hörer, sondern auch die Interpreten. Über die filmschnittartige Struktur der Komposition, ihre literarische Vorlage in Leo Tolstojs Novelle „Die Kreutzersonate“ muss man nicht viele Worte verlieren, und die Diskographie dieses Werkes ist in Umfang und Qualität mehr als beeindruckend. Gleichwohl hat diese brillante Aufnahme ihr volles Recht, auch unabhängig vom Konzept der hier besprochenen CD – als eine Funken sprühende, inspirierende und technisch makellose Wegmarke. Im Kontext mit Sibelius und Schulhoff aber ergibt sich mehr, nämlich das faszinierende Bild einer Epoche, in der diese höchst unterschiedlichen Temperamente und Angehörigen verschiedener Generationen Streichquartette schrieben. Natürlich profitiert Schulhoff am meisten von dieser Perspektive, und man wird weder Janáček noch Sibelius unrecht tun, wenn man ihre Kompositionen einmal heranzieht, um jenen Dritten genauer in den Blick zu bekommen, den die blutige Geschichte des 20. Jahrhunderts um seinen angemessenen Platz betrogen hat – bislang wenigstens, auf dem langen Weg seiner Wiederentdeckung. Die besondere CD, erschienen im Juli 2012.

Nils-Christian Engel

Musik und Interpretation: 
Klangqualität: 
Cover und Aufmachung: 

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