Infotext:
Nach der Verhaftung des Jesus von Nazareth im Garten Gethsemane suchen die Wachen des Hohen Rats nach Lazarus. Dieser flieht in sein Haus, wo er zusammen mit seinen Schwestern Marta und Maria wohnt, und findet schließlich Zuflucht in der eigenen Gruft.
Dort erlebt er im Traum noch einmal seinen Tod und begegnet den vier engsten Jüngern Jesu (Simon, Andreas, Johannes und Jakob) sowie Judas. Nach seinem Erwachen kehrt er ins Haus zurück. Dort findet ein Treffen zwischen den vier Jüngern, seinen Schwestern und Judas statt, bei dem Judas versucht, seinen Verrat zu rechtfertigen und die anderen zu überzeugen, sich seinen Plänen anzuschließen.
Judas scheitert in diesem Vorhaben, und Lazarus fasst den Entschluss, sich den Wachen zu stellen und erneut zu sterben, diesmal jedoch bei vollem Bewusstsein.
Das Opernhaus des THEATER KIEL hat sich mit der Aufführung von Halffters Oper Don Quijote im deutschsprachigen Raum (nach der Madrider Uraufführung im Jahre 2003) erhebliche Meriten verdient. Cristóbal Halffter vergab aus diesem Grund die Uraufführung seines neuesten Opernwerks Lázaro auch an dieses Haus, wo das Werk dann im Mai 2008 mit annähernd derselben Mannschaft inszeniert und von NEOS aufwendig gefilmt und editiert wurde.
Programm:
Sprachen Spanisch, Deutsch, Englisch, Französisch Cristóbal Halffter (*1930) Kompositionsauftrag des Theater Kiel Commissioned by the Theater Kiel Musikalische Leitung Musical Director Georg Fritzsch Musikalische Assistenz Musical Assistant Simon Rekers Regieassistenz Assistant Director Veronika Graf Lázaro baritone Jörg Sabrowski Technische Leitung Technical Director Christian Kirschnick Philharmonisches Orchester Kiel Übertitel eingerichtet von Mitgliedern des ›Taller de Traducción Literaria‹ (TTL) am Romanischen Seminar der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel |
Pressestimmen:
Nach dem Tod ist vor dem Tod Interpretation: Es gibt ein Leben nach dem Tod. Zumindest für Lazarus. Jesus hatte ihn, wir erinnern uns, von den Toten auferweckt. Doch was geschah danach? Juan Carlos Marset erzählt die im Johannes-Evangelium überlieferte Geschichte des Lazarus in seinem Libretto für Cristóbal Halffters Oper ‘Lázaro’ zu Ende. Das symmetrisch angelegte Textbuch rührt an die letzten Dinge; Platons Höhlengleichnis und die Leidensgeschichte Jesu bilden den Hintergrund des Geschehens. Jesus ist gleichsam die Fackel, die das vieldeutige Bühnenspiel der Schatten in Gang setzt, und in Spiegelungen latent präsent: So nimmt Lazarus seinen leeren Platz am Tisch des letzten Abendmahls ein, und später ruft er den wenigen versprengten Jüngern zu, die ihn umgeben: ‘Wacht mit mir!’ Da liegt Lazarus bereits in seiner Gruft, auf der Flucht vor den Häschern. Ausgemergelt, mit verstörtem Blick und freiem Oberkörper wandelt Jörg Sabrowski im sterilen Licht über die Bühne wie ein Untoter durch ein Leichenschauhaus. Sein Spiel bleibt in jedem Augenblick glaubhaft, Lazarus‘ Leid nicht abstrakt. Sein Bariton ist lyrisch verschattet, bisweilen – wie im Bericht von der Nacht im Garten Gethsemane und der Festnahme Jesu – auch kraftvoll zupackend. Das von Georg Fritzsch geleitete Philharmonische Orchester des Kieler Theaters versteht sich auf unheilvolle Schwebeklänge und darauf, die mentalen Zustände und Entwicklungen innerhalb des fluktuierenden, facettenreichen Kontinuums, das nicht frei ist von illustrierenden Effekten und bisweilen gar eine ‚psychische Polyphonie’ Strauss‘scher Prägung anklingen lässt, plastisch zu musizieren. Die (auf Spanisch gesungene) Oper entstand in den Jahren 2004–07 im Auftrag des Theater Kiel und liegt nun als Mitschnitt der Premiere 2008 erstmalig vor. Nach ‘Don Quijote’ ist sie Halffters zweite Oper. Die Musik des Katholiken (Jahrgang 1930) verfolgt eine humanistische Intention; in ihr sucht der Komponist den Serialismus nach eigener Aussage zu ‚latinisieren’, ihn zur Expression hin zu öffnen. Die kalte Lichtgebung erinnert an den ätherischen Schlussteil von Kubricks ‚2001’. In diesem zeichenhaften Ideentheater, das bisweilen etwas blutleer wirkt, gehen abstraktes Geschehen und sinnliche Vertonung eine durchaus reizvolle Liaison ein. Regisseur Alexander Schulin findet eindrückliche Bilder, etwa der umkippende und entschwebende Tisch des Abendmahls, die Teller und Keller darauf wie festgefroren, oder das in Bläue getauchte Wüstenquadrat in Bethanien. Bühnenbild und Kostüm sind auf einfachste Elemente und Formen reduziert, eine geradezu archaische Strenge waltet in den Bilder und den Figurenkonstellationen. Es scheint, als sei das abstrahierte Bühnengeschehen bereinigt von allen Schlacken des Profanen. Doch die kluge Stilisierung erstarrt nicht in Klassizität, sondern lässt noch genügend Raum zur schauspielerischen Entfaltung und psychologischen Durchdringung durch die gut geführten Darsteller (hervorzuheben: Claudia Iten und Julia Henning als Larazus‘ Schwestern Marta und María). Zunächst sollte die Oper ‘Der Traum des Lazarus’ heißen. Schlafen und Wachen, Leben und Sterben befinden sich beständig in der Schwebe. Das Bühnengeschehen berührt und dringt ein in Sphären des Unbewussten, Ambivalenzen werden nicht aufgelöst: Ist Lazarus am Ende gar Jesus selbst? Ein Traum-Spiel. Doch ausgerechnet die Inszenierung seines Traums vermag nicht vollständig zu überzeugen. Lazarus liegt in seiner Gruft auf bleifarbenem Untergrund. Die Regie setzt Projektionen ein: Lazarus abgefilmt und in Echtzeit auf die Wand projiziert, zudem kommen Foto-Projektionen zum Einsatz. Und doch – der so zentralen Aufspaltung der Figur in mehrere Bewusstseinsdimensionen mangelt es an visueller Kraft. Auch muss zu den Schwachpunkten gezählt werden, dass die Lazarus folgenden Jünger nicht deutlich genug als die Jünger Jesu dargestellt werden, dass Judas‘ Stimme (Friedemann Kunder) später zwar ertönt, dieser selbst aber nicht gezeigt wird. Zudem zeigt die Filmregie häufig den Orchestergraben, wodurch der Fokus auf das Bühnenschehen verloren geht. Der Gesamtklang ist gut eingefangen, bisweilen gibt es jedoch leichte Schwankungen. Das Booklet mit dem instruktiven Einführungstext des Dramaturgen Joscha Schaback ist indes nicht hoch genug zu loben, die DVD ist gut ausgestattet, der Komponist gibt in einem Interview ausführlich Auskunft über seine Intentionen. Eine alles in allem empfehlenswerte Produktion. Dennis Roth
Cristóbal Halffter’s second opera, Lázaro, based on the biblical tale of Lazarus to a libretto by Juan Carlos Marset, had its premiere at the Kiel Opera in 2008. This DVD is a recording of that production. Although the performance takes place on stage, it is not entirely clear whether it was taped before an audience: possibly not, judging from the many close-ups. The action takes place after Jesus’ arrest in the Garden of Gethsemane. Lazarus recalls his earlier death experience. After some argument with Judas and other of the disciples, Lazarus decides to give himself up to the Roman guards who are seeking him and thereby die once more, this time as a Christian martyr. Halffter, a Spanish composer with an avant-garde vocabulary, was 78 at the time of the opera’s debut, and the intensity of his idiom had not mellowed in the slightest. This is dissonant, dramatic music, similar to that of Birtwistle in its dynamic and literal extremes. There is not a single moment of lightness in this one-act opera, although, to be fair, the story does not provide many such opportunities. The musicians do most of the work: orchestral textures are full of activity and color, constantly screwed to a fever pitch of angst. Declamatory vocal lines often burst into clashing counterpoint. In comparison to the drama expressed in the music, the production itself is quite plain. The set is minimal, its main feature being a large plot of earth, representing the tomb where Lazarus spends his time in hiding. Costumes are simple and beige colored. The contrast between the look and the sound of the proceedings works well. Jörg Sabrowski reveals a sonorous bass baritone as Lazarus, but sings very little. For most of the opera he simply gazes into the air in one direction or another, vaguely disquieted. In fact, there are long passages where nobody sings at all. Stage action is minimal, but effectively stylized. Both the sound quality and the filming leave little to be desired. In 31:1 I reviewed a CD of Halffter’s orchestral works, and made the point that his relentless muse takes some familiarizing before memorable detail and structural sense begin to register. That is equally true of this work, with the added proviso that opera is the hardest nut to crack in contemporary music. Fortunately, the lack of complexity of the story (narrative-wise, that is—there is a deep philosophical subtext, according to the notes) and the clarity of the production are a big help. My main problem is with the final scene. Lazarus’s ultimate speech of sacrifice, calm and humane as it is, desperately calls for an uplifting major key tonality—yet, disappointingly, the composer remains wedded to his atonal idiom to the bitter end. CD-compact
Composer and conductor, Cristobal Hallffter was born into a family of musicians in 1930 in Madrid, where he studied at the conservatory. In 1962, he was named professor of composition there, and in 1964 became its director. Two years later he resigned and devoted himself to composition and conducting. Between 1970 and 1978, he taught at the University of Navarra and at Darmstadt, and headed the Spanish section of the Société Internationale de Musique Contemporaine. He is a member of several academies in Europe, and docteur honoris causa at the University of León in Spain. As conductor, he has led the great orchestras (Berlin Philharmonic, Baden-Baden Radio, Tonhalle de Zurich, National de France, London Symphony, Suisse Romande, Lucerne Festival…). Here then is a singular opera, rather austere in its form. Based on texts by Juan Carlos Marset, this opera recounts the famous episode of Lazarus. As stated in the Gospel According to Jean, Lazarus was a friend of Jesus, brother of Martha and Mary. They lived in Bethany, a village on the east side of the Mont des Oliviers. It was he who is said to have been revived by Christ, making him leave his tomb. One can read this passage in the Gospel According to Jean, in Chapter 11. Reflecting on Plato’s allegory of the cave in Book VII of The Republic, Cristóbal Halffter remembered the story of Lazarus leaving his tomb. After Don Quijote, the composer became interested in a man who saw reality differently. Returning from the dead, Lazarus can tackle life differently, awakened. The revelation takes place at the bottom of a cave, during a dream! First performed at the Théâtre de Kiel on May 4, 2008, the opera is remarkable. Georg Fritzsch’s conducting gets across all the tumult of the score, and the taut voices of Julia Henning, Claudia Iten and Jörg Sabrowski (Lazarus) are impressive. Still, Alexander Schulin’s directing is too clinical, which reinforces the sets that reek of conception and estheticism. The opera, although very well filmed with much definition, no doubt lacks that little something extra that would conquor our enthusiasm. Still, this is a work to discover. Yannick Rolandeau
Diario de Sevilla
»Halffter arbeitet eher mit Suggestion als mit Erzählkunst. Nicht, dass er seine bewundernswerte Beherrschung orchestraler Instrumentierung aufgeben würde – aber die Stimmen setzt er hier lyrischer ein als bei anderen Werken. In unserer Zeit der Banalitäten steht er für Komplexität und wählt eine Mischung aus karger Strenge und Konzentration, die uns allmählich in ihren Bann zieht. In Marset hat er einen Librettisten von kongenialem Verstehen gefunden, und so gewinnt der Komponist in den sinfonischen Zwischenspielen eine klangschöne Basis, die es ihm erlaubt, seiner schöpferischen Kraft hinsichtlich vielfältiger kulturgeschichtlicher Anspielungen Ausdruck zu verleihen.« »Mit hellwachen Ohren folgten wir am Sonntag in der Oper Kiel der Uraufführung von Cristóbal Halffters genialem Musiktheaterwurf, seinem Lazarus. Der große lebende Komponist Spaniens, Jahrgang 1930, ist in jedem Ton, jedem Wort und jeder Geste der Grandseigneur alter Schule, der Humanist mit Herzensweisheit, der Ästhet des rechten Maßes und reicher Inspiration.« »Das Werk eröffnet immer neue Klangräume irisierender, subtil orchestrierter Strukturen, die sich in vier großen Zwischenspielen geradezu symphonisch entfalten. In den Handlungsszenen wird die Musik von der pointierten Deklamation des spanischen Textes getragen, der das Orchester fein rhythmisierte Impulse verleiht. Dabei beeindruckt die absolut souveräne Beherrschung des Apparates, und man spürt in dem persönlichen Ton, dass Halffter mit dem Werk eigene religiöse Überzeugungen zum Ausdruck bringt. Mit Lazarus ist ihm eine Oper gelungen, die sich würdig in die Tradition großer Bekenntniswerke fügt.« |