Claus-Steffen Mahnkopf: Music for Oboe

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Artikelnummer: NEOS 11813 Kategorie:
Veröffentlicht am: April 27, 2018

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MUSIK FÜR OBOE

Diese CD blickt auf mehr als 25 Jahre zurück. 1985 / 86 komponierte ich mein erstes Oboensolostück, Monade. (Dieses Werk ist auf dieser CD nicht vertreten.) Damit begann eine bis heute andauernde Freundschaft mit dem australischen Oboisten Peter Veale. 1987 fingen wir an, die Spieltechnik der Oboe systematisch zu untersuchen. Wir wollten buchstäblich alles wissen, was dieses Instrument hergibt, vor allem bei den Mehrklängen, die zu dieser Zeit mit dem Computer auf ihren harmonischen Gehalt hin untersucht werden konnten. Die Arbeit dauerte sieben Jahre, 1994 kam endlich das Grundlagenwerk zur Spieltechnik der Oboe heraus, das bis heute sich weltweit gleichmäßig verkauft.

Ende der 1980er-Jahre besaß ich gleichsam ein Exklusivwissen. Und plante mein bis dahin größtes Werk: Medusa für Oboe und Kammerorchester, das nicht nur die neugewonnenen Klänge der Oboe einsetzen sollte, sondern zugleich meine Vorstellung von Polyphonie insofern radikalisiert, als weitere Subwerke in die Partitur integriert sind. (Medusa ist auf meiner Porträt-CD bei Wergo erschienen.) Der Oboenpart – abzüglich eines Mittelteils für Englischhorn – ist identisch mit Gorgoneion, dem ersten Stück auf dieser CD. Gorgoneion ist der Name von Medusas geköpftem Haupt, das Athene als Apotropaion auf ihrem Schild trägt. Medusa verkörpert das Paradoxon von Schönheit und Zerstörung. Die Gorgo Medusa zog den Betrachter an, versteinerte ihn aber durch ihren Blick. Diese Ambivalenz auszudrücken ist eine der Ideen dieses Stücks, das gleichsam eine Symphonie für die Oboe ist.

Illuminations du brouillard ist ein kleineres Duo für Oboe und Klavier, das ich in drei Fassungen komponierte, die über einen Konzertabend verteilt aufgeführt werden sollen. Die Oboe, die expressive Linien vorträgt, bedient sich durchweg nicht-gewöhnlicher Klangfarben (mezza voce-Effekte, Farbgriffe und Unterblastöne), und das Klavier verwebt die punktualistisch gedachten Töne zu einem Pedal-Verschmelzungs-klang nach vorgeschriebenen Mustern. Die Tonhöhenstruktur ist bei allen drei Versionen gleich, alle übrigen Parameter (Dynamik, Klang-lichkeit, Pedalgebrauch etc.) aller-dings stets verschieden. Folge soll dabei sein, dass die harmonische Färbung, neben der »emotionalen Aura« verschiedener Direktheitsgrade, durchweg eine andere sein wird, ähnlich unterschiedlich licht- und farbdurchfluteten Nebelschwaden. Der Titel bezieht sich auf diese anamorphotische Idee und sollte darum nicht mit der lyrischen Poetik des französischen Symbolismus verwechselt werden.

Der holländische Oboist Ernest Rombout zeigte mir 1991 die Piccolooboe, die eine kleine Terz höher klingt. Eine absolute Rarität, in die ich mich sofort verliebte wegen ihres süßen, in der Tiefe nicht massiven und in der Höhe nicht schrillen Klangs. So entstand das Solostück Solitude-Nocturne. Später schrieb ich eine Ensemblefassung: Solitude-Sérénade (veröffentlicht auf der Mahnkopf Edition 3). Zwei literarische Quellen kommen in der Solitude-Nocturne (der Name bezieht sich auf das Schloß Solitude bei Stuttgart) zusammen; zum einen die psychoanalytisch-anthropologische Sicht Lou Andreas-Salomés über Erotik (»… und dass Zwei nur dann Eins sind, wenn sie Zwei bleiben«), zum anderen ein Aphorismus über das Glück aus Adornos Minima Moralia, wonach dem Zustand des Glücks das Vergessen der Zeit, sowohl des Augenblicks wie des Hineingekommenseins und Herausfindens, innewohnt, so dass das Glück nur als dankbare Erinnerung bewusst werden kann.

In meiner mehrjährigen Arbeit am EXPERIMENTALSTUDIO des SWR entstanden Werke aus dem Pynchon-Zyklus (Mahnkopf Edition 1), die gleichfalls der Oboe zuzuordnen sind: D.E.A.T.H. und W.A.S.T.E. Auf dieser CD erscheint W.A.S.T.E. 2. Ausgangspunkt ist der Roman The Crying of Lot 49 von Thomas Pynchon, mit dem mich vieles verbindet, vor allem die paranoide Weltsicht auf eine durch und durch amoralisierte und entbürgerlichte Gesellschaft, wie sie sich in den Megametropolen von heute zeigt. In bewusster Absetzung von den anderen Zyklen – so zu György Kurtág (Mahnkopf Edition 4) – geht es mir im Pynchon-Zyklus um Härte, fast Brutalität, um die Konsequentialität von letztlich sinnlosen Prozeduren, die alles mit allem zu vermitteln scheinen, ohne dabei Bedeutung stiften zu können. Auf solche Härte antwortet das von mir bewusst als »hässlich« gewählte Material; aber auch die kompositorischen und damit auch formalen Strategien sind an der Grenze dessen angesiedelt, was einem in guter europäischer Tradition ausgebildeten Komponisten an Verwerfungen und Verzerrungen möglich ist. Jedes der Werke des Pynchon-Zyklus übersetzt die narrative Struktur des oben genannten Romans (oder eines Ausschnitts daraus) in eine mechanische Folge von Zahlen und Proportionen, die auf möglichst vielen Ebenen der Konstruktion angewandt werden. Die kalte Rationalität einer komplexen Vernetzung trifft sich auf diese Weise mit einer paranoischen Sinnleere. »W.A.S.T.E.« ist ein Akronym aus The Crying of Lot 49 und heißt dort: »We Await Silent Tristero’s Empire«.

Schlussendlich reifte mit der Zeit die Idee, ein Werk der Oboe und Peter Veale zu widmen. Die Hommage au hautbois. Ein musikalischer Ostrakismus ist auch eine an Peter Veale, der die Uraufführung bestritt. Die Kammerbesetzung ist eigentümlich, besitzt aber eine gewisse Logik: zwei gleiche Instrumente (Klarinette, auch Bassklarinette), zwei Instrument der gleichen Familie (Trompete und Posaune) und zwei Instrumente, die als Sonderinstrumente im Orchester gelten können: E-Gitarre und Schlagzeug. Die Oboe steht allein. Man könnte sagen: drei Pärchen und ein Single, man stelle sich die Gruppensituation auf einer gemeinsamen Reise vor. Die Pärchen spielen in bald sehr klaren, bald eher versteckten Kanons. Sie bestimmen das Geschehen. Die Oboe tritt mehrmals verspätet auf und wird dann von den übrigen abgeschnitten. Dabei verlieren diese aber ihre Energie und versinken buchstäblich in immer tieferer Lage, während die Oboe ihre brillante Höhe behält. Am Ende sind die sechs Musiker erschöpft, und die Oboe spielt ein großes Schluss-Solo. In gewisser Weise gewinnt sie, steht aber allein, was jedoch musikalisch ein Vorteil ist. In der griechischen Polis, so im antiken Athen, gab es das Scherbengericht, den Ostrakismos. Auf Antrag konnten die Bürger eine unliebsame Person verbannen, denjenigen, der die meisten Nennungen auf Tonscherben erhielt. Es ist die Oboe, die in meinem Stück verbannt wird. Aber wie gesagt, musikalisch ist das ein Sieg.

Claus-Steffen Mahnkopf

Programm:

[01] Gorgoneion for oboe solo [1990] 17:33
[02] Illuminations du brouillard I for oboe and piano [1992/93] 02:51
[03] Solitude-Nocturne for piccolo oboe [1992/93] 15:14
[04] Illuminations du brouillard II for oboe and piano [1992/93] 02:46
[05] W.A.S.T.E. 2 for oboe and tape [2002] 18:06
[06] Illuminations du brouillard III for oboe and piano [1992/93] 02:56
[07] Hommage au hautbois A musical ostracism for oboe obbligato and ensemble [2013] 16:25

total playing time: 76:50

 

Peter Veale, oboe [01, 02, 04, 05, 06, 07]
Ernest Rombout, piccolo oboe [03]
Sven Thomas Kiebler, piano [02, 04, 06]
ELISION
Eugene Ughetti, conductor [07]

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