Bruno Maderna: Complete Works for Orchestra Vol. 4

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Artikelnummer: NEOS 10936 Kategorie:
Veröffentlicht am: Januar 9, 2012

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Bruno Maderna · Orchesterwerke · Vol. 4

Quadrivium eröffnet 1969 Madernas finale schöpferische Periode, die von eindrucksvollen und eigenwilligen Werken in großsymphonischer Besetzung gekennzeichnet ist: »Der Titel ist vielleicht etwas literarisch. Ich dachte dabei an die vier ›freien Künste‹ des Mittelalters: Arithmetik, Algebra, Musik und Astronomie […] Hinzu kommt, dass die Zahl Vier eine magische Wirkung hat: die vier Elemente, die vier Zeitalter der Erde […]«. Entsprechend verwendet er »vier solistische Perkussionsinstrumente und ein in vier Gruppen unterteiltes großes Orchester, in vier gemischte Instrumentenfamilien […] Das Orchester ist eine Erweiterung des Schlagzeugs.

Das Werk gleitet von der Ungezwungenheit zur Genauigkeit, von der reinen Virtuosität zu der einfachsten, intimsten Lyrik. Die Organisation, die Struktur ist würfelförmig. Einmal verwandeln sich die geschliffenen Flächen in einen einzigen Block, ein anderes Mal trennen sie sich und zeigen verschiedene Facetten. Dabei wechselt man von der strengen Notenschrift zu einer offenen Form. Drei oder vier Stellen, das Ende inbegriffen, zeigen die asymmetrische Konzeption des Quadrivium. Die informellen Stellen sind mit sehr vielen ›Möglichkeiten‹ beladen. Eine dieser Möglichkeiten ist die Rückkehr zur geschlossenen Form.«

Wie in fast allen späten Kompositionen wechseln also auch hier streng auskomponierte Abschnitte mit aleatorischen Passagen ab. Dem Dirigenten ist weitreichende Entscheidungsfreiheit hinsichtlich der Gestaltung der Aleatorik übertragen, wodurch die erklingende Musik sehr unterschiedliche Erscheinungsformen annehmen kann. So müsste man viele verschiedene Aufnahmen von ein und demselben Werk des späten Maderna hören, um einen Eindruck von der Vielfalt der gegebenen Möglichkeiten zu bekommen, die jeweils eine stark verändernde Wirkung auf den Gesamteindruck haben.

Quadrivium artikuliert sich in sechs Abschnitten, drei davon sind Orchestersätze, zwei ›Kadenzen‹ und einer ein Solo-Quartett. Diese Episoden sind bezüglich Ausdruck, Klangfarben, Tempo und Dynamik deutlich kontrastierend. Die zahlreichen Schlaginstrumente sind im Raum auf die vier Orchestergruppen als deren jeweilige Zentren verteilt. Der Wechsel und die Überlappung verschiedener Klangfarben verleihen Quadrivium einen ganz besonderen Reiz, und manche Kenner halten diese Komposition, die am 4. April 1969 in Royan aus der Taufe gehoben wurde, überhaupt für den Gipfel von Madernas Schaffen.

Die kompositorischen Verfahrensweisen in AuraGiardino religioso und Amanda ähneln denjenigen in QuadriviumAura entstand als Auftragskomposition anlässlich des achtzigjährigen Bestehens des Chicago Symphony Orchestra, durch welches es am 23. März 1972 in Chicago unter Madernas Leitung zur Uraufführung kam. Die 54 beteiligten Streicher sind in sechs Gruppen aufgeteilt, während die Bläser und Schlagzeuger, die oft interpunktierend zum Einsatz kommen, als eine einzige Gruppe fungieren.

Es ist hier für den Hörer sehr schwierig, aleatorische Passagen von solchen fest vorgeschriebener Struktur zu unterscheiden, indem die divergierenden Klangquellen einem Amalgamierungsprozess unterworfen werden, ihre Stimmen sich ineinander verwickeln und Stimmungsbilder erzeugen, die von Zartheit und Poesie bis hin zu stürmischen Ausbrüchen reichen.

Aura ist von heftigen Kontrasten gekennzeichnet (so die an Alban Berg erinnernde nostalgische Expressivität der Streicher im Wechselspiel mit der eruptiven Gewalt der Blechbläser) und dürfte, im integrativen Weltbild des Komponisten, eine Art tönender Spiegel der Realität des Lebens in all seiner gleichzeitigen Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit sein. Paolo Petazzi zufolge »zeichnet Aura eindrucksvoll einen Verlauf nach, der von der langsamen Auskristallisierung der Eingangsepisode stufenweise zur Auflösung im Schlussteil führt«.

Amanda, laut Maderna »eine Art Serenade«, entstand 1966 und wurde am 25. Oktober 1966 in Neapel uraufgeführt. Unter den in Volume 4 zusammengestellten Werken ist es die unbefangenste, heiterste, auch lyrischste Komposition. Das Kammerensemble besteht, außer aus einigen Schlaginstrumenten, ausschließlich aus Saiteninstrumenten, darunter Mandoline und Gitarre. In Amanda tauchen Fragmente aus früheren Werken Madernas wie Stele per Diotima auf, und es sollten dann wiederum im Violinkonzert von 1969, das manche als krönenden Abschluss der 1960er Jahre ansehen, Fragmente aus Amanda in neuer Umgebung auferstehen.

Giardino religioso, 1972 komponiert, am 8. August 1972 in Tanglewood erstmals einem Publikum vorgestellt und anschließend für die Columbia aufgenommen, entstand im Auftrag der Fromm Music Foundation. Maderna hatte den amerikanischen Mäzen Paul Fromm besucht und die Idylle seiner herrlichen Gartenanlage bewundert. Der Arbeitstitel des Werkes lautete zunächst Fromm’s Garden, doch auf sehr elegante Weise verstand es Maderna, die Widmung nur noch Eingeweihten kenntlich erscheinen zu lassen, indem er das deutsche Wort ›fromm‹ ins Italienische übertrug, wodurch der archaische Titel Giardino religioso zustande kam.

Dieses Werk verwendet ein kleineres Orchester als seine Vorläufer Quadrivium oder Aura. Der Dirigent bewegt sich zwischen den verschiedenen Orchestergruppen, als ob sie verschiedene Wege in einem Garten beschreiben würden. Viel Raum ist der freien Improvisation anheimgestellt, freilich unter Einbezug zahlreicher detaillierter Anweisungen des Komponisten, wie etwa zum Anfang, dieser sei »wie das Erwachen von kleinen Vögeln«, später: »auf dem Höhepunkt steht es dem Dirigenten frei, Pauken und Bläser hinzuzunehmen, wenn er dies wünscht«, oder zum Ende hin: »dem Dirigenten steht es frei, mit den Trompeten und dem Kontrabass zu improvisieren«.

Christoph Schlüren
(unter Verwendung des Einführungstextes von Angela Ida De Benedictis)

Programm:

[01] Quadrivium 27:43
for four percussionists and four orchestra groups (1969)

Percussion:
Konrad Graf
Andreas Hepp
Burkhard Roggenbruck
Andreas Boettger

[02] Aura 16:30
for orchestra (1972)

[03] Amanda 13:19
for chamber orchestra (1966)

Alejandro Rutkauskas, violin

[04] Giardino religioso 20:35
for small orchestra (1972)

total time 78:08

hr-Sinfonieorchester/Frankfurt Radio Symphony Orchestra
Arturo Tamayo, conductor

Pressestimmen:


6/2015

Bruno Maderna: Complete Works for Orchestra Vol. 1–5

Magische Momente sind etwas Kostbares in der Musik. Sie lassen sich nicht erzwingen. Umso erstaunlicher ist es, mit welch traumwandlerischer Sicherheit es Bruno Maderna in seinen späten Werken gelingt, solche magischen Momente entstehen zu lassen. Etwa bei der Hälfte des Stückes Ausstrahlung erklingt eine Kinderstimme von Tonband, die immer wieder die Wörter «so wunderbar» wiederholt. Die Sopranistin greift die Phrase auf, und innert weniger Takte lässt dieses «wunderbar» die Musik selbst stillstehen und über sich selbst staunen. Oder die schicksalhaften Blechbläserpassagen in Aura, die keinen Widerspruch zu dulden scheinen und dem Hörer den Defaitismus mit zynischem Zorn ins Gesicht speien. Oder wenn sich unerwartet. gegen Ende von Giardino religioso, ein Duo zwischen der Trommel und dem Klavier entspinnt, durch das die Musik sich plötzlich zu befreien scheint aus dem «frommen Garten» und sich einmal ganz urwüchsig und unbefriedet zeigt. Überhaupt muss man die vielen episodischen Duette im Orchester hervorheben: die Mandoline und die Harfe, die Kontrabässe und die Posaune. Und dann sind da noch diese Schlüsse, bei denen einem der Atem zu stocken scheint: Das Violinkonzert tröpfelt ganz unvermittelt mit einem Solo, mit ganz unspektakulären Spiccati im mittleren Register aus; und das Ende von Quadrivium ist in seiner Traurigkeit kaum zu überbieten, wenn die hohen Streicher auf ihre Figuren kein Echo und keinen Widerhall mehr im Orchester finden. Das erinnert. nicht von ungefähr, an die Sinfonien Gustav Mahlers. Schliesslich hat Maderna Mahler ja nicht nur oft als wichtiges Vorbild genannt, er hat seine eigene Musik auch mit jenem Prädikat versehen, mit dem man Mahlers Sinfonien lange meinte, diskreditieren zu können: «Kapellmeistermusik».

Hört man sich heute durch die 25 Jahre Orchestermusik, die Maderna hinterlassen hat. so muss man sich allerdings fragen, ob das Musikleben aus dem «Fall Mahler» nichts gelernt hat. Denn auch im Falle Maderna ist es bis dato versäumt worden, das Œuvre aufzuarbeiten und in seiner musikhistorischen Bedeutung angemessen zu würdigen. Vor allem von den Orchesterwerken lagen nur wenige bis keine Aufnahmen vor, und vieles dann auch nur in mässigen Produktionen von eher dokumentarischem Wert. Dass sie zwischen 2009 und 2013 das gesamte Orchesterwerk Madernas eingespielt und auf fünf CDs veröffentlicht haben, ist also schon einmal als Verdienst des hr-Sinfonieorchesters, des Dirigenten Arturo Tamayo und des Labels NEOS zu verbuchen. (Nur die drei Oboenkonzerte hat man ausgespart, wohl auch, weil sie bereits in guten Einspielungen, etwa mit Heinz Holliger und Gary Bertini, vorliegen.)

Hört man sich durch die 25 Jahre Orchestermusik, die Maderna hinterlassen hat, dann zieht auch ein Vierteljahrhundert Musikgeschichte an einem vorüber, von den noch neoklassizistisch ausgerichteten Werken der vierziger, den seriellen Experimenten der fünfziger, den dramatisch-theatralischen Exkursen der sechziger bis zu den gross und offen konzipierten Werken der siebziger Jahre. Man wird an die Zusammenarbeit mit dem Pianisten David Tudor, dem Flötisten Severino Gazzelloni und dem Oboisten Lothar Faber erinnert, die viele dieser Werke, vom Klavierkonzert bis zur Grande Aulodia, prägten. Man wird auch daran erinnert, wie verstockt und verbohrt man einst über die Zukunft der Musik sprach und wie ausgleichend Maderna in den ideologischen Grabenkämpfen der Ästhetiken wirkte. Angesichts seiner Leistungen als Dirigent und als Integrationsfigur geriet seine kompositorische Bedeutung oft aus dem Blickfeld. Und vieles wirkte eben auch nicht so, als könne man es mit den grossen Schöpfungen eines Pierre Boulez oder Luigi Nonos vergleichen.

Von der Hand zu weisen ist in der Tat nicht, dass Maderna schnell und manchmal sogar nachlässig komponierte. Vor allem in seinen letzten Lebensjahren, als er derart unter seiner Alkoholsucht litt, dass er seinen Pflichten kaum mehr nachkam, musste viel improvisiert und spontan reagiert werden. Das Ergebnis dieses Arbeitsprozesses aber sind Werke, in denen viele Brüche zutage treten, Werke, die nicht stromlinienförmig oder aus einem Guss erscheinen, sondern in denen sich eine ausgesprochen heterogene Klangwelt auftut. Und eben diese Brüche führen ja auch regelmässig zu den eingangs erwähnten «magischen Momenten» im Werk.

Gleichwohl stellen diese Brüche im Werk nicht nur die Hörer vor Probleme, sondern natürlich auch die Musiker und Produzenten. Wenn das Geigensolo im Violinkonzert um Minute 16 herum vor Zagen fast auseinander bricht, dann muss man festhalten, dass es eben sogar einem Thomas Zehetmair nicht gelingen will, diesen fragilen Moment souverän und selbstbewusst zu gestalten. Auch das Orchester kennt diese Momente; nicht immer wirken die Einspielungen, als hätte man die Werke ins Letzte ausgeprobt. Und wenn man im Studio dann die vielen Wechsel zwischen kleinsten Besetzungen und Orchestertutti innerhalb der Stücke stimmig in ein Stereoklangbild bringen möchte, ist die Verzweiflung greifbar. Diese leichten Mängel in der Produktion stören allerdings nicht, sondern lassen sich als Bruch innerhalb der Maderna’schen Ästhetik hören. Die Ungleichgewichte, die Unwuchten, die Missverhältnisse und Disproportionen sind, vor allem im Spätwerk, Teil seines Personalstils. Auch tragen die Werke seit den späten sechziger Jahren, und das sind immerhin sieben der neunzehn eingespielten Werke, Züge einer offenen Form, die oft spontan vom Dirigenten während der Aufführung montiert wird. Werke, die jedes Mal aufs Neue eingerichtet und erfunden werden müssen. Da kann man also ohnehin nicht von einer Referenz- oder gar einer endgültigen Einspielung sprechen, sondern es bedarf vieler verschiedener Aufnahmen, um den Stücken wirklich habhaft zu werden. Mit diesen fünf CDs haben das hr-Sinfonieorchester und NEOS immerhin einen ersten und wichtigen Schritt in diese Richtung getan.

Björn Gottstein

 

 

 


24.08.2012

 

03/2012

www.theguardian.com

The orchestral works that Bruno Maderna (1920-1973) composed in the last few years of his life are among the most sheerly beautiful scores by any member of the post-1945 European avant garde. Since his early death, Maderna’s parallel career as a conductor has tended to be remembered more than his achievements as a composer, and while Neos’ series devoted to his orchestral works has been a valuable reminder of how consistent and rewarding his music is, this fourth instalment is unquestionably the most significant so far.
It was with the magnificent Quadrivium for four percussionists and four orchestras of 1969 that Maderna entered the all-too-brief final phase of his development. That work’s range of incident and instrumental colour, in music that seamlessly combines precisely notated passages with those in which the conductor is given the freedom to order and shape the material, is still a wonder, just as the densely layered string writing and vivid contrasts of Aura from 1972, and the crisply imagined imagery of Giardino Religioso from the same year show what a vivid and distinctive musical imagination Maderna’s was. The odd piece out here is the earlier, rather extrovert Amanda from 1966. It is a serenade, as Maderna called it, for chamber orchestra in which stringed instruments (including guitar and mandolin) predominate, sometimes generating the brittle, twanging sonorities typical of Boulez’s piece Eclat of the same era. Though, as these works show, Maderna was always much more than a Boulezian fellow traveller.

The performances under Arturo Tamayo are just what one wants, nicely detailed with a real confident sweep about them: the Frankfurt Radio Orchestra sound as if they’ve been playing this music all their professional lives. Naxos released a recording of Quadrivium last autumn, alongside a group of Maderna’s early, rather Bartókian pieces, but there is much more presence to this one, though, given the changeable nature of the piece, both are worth hearing.

Andrew Clements

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