Anders Eliasson: Desert Point ∙ Ostácoli ∙ Sinfonia per archi

17,99 

+ Free Shipping
Artikelnummer: NEOS 10813 Kategorie:
Veröffentlicht am: Oktober 10, 2008

Infotext:

»SIE NIMMT KEINE GEFANGENEN«
Anders Eliasson und die Kunst der unendlichen Präsenz

»Musik war meine einzige Möglichkeit, zu überleben in dieser Welt.« Als kleiner Junge formierte Anders Eliasson seine Spielzeugsoldaten zu einem Orchester, setzte sich vor sie hin und sang, imitierte die Stimmen der Instrumente. Die erste Musik, an die er sich erinnern kann, ist »mein eigenes Singen«. Mit neun Jahren bekam er eine Trompete geschenkt, wurde von erfahrenen Jazzern geschult und war bald der Leader seiner eigenen Band, bestehend aus zwei Klarinetten, Posaune, Schlagzeug, Gitarre und Trompete. Als er vierzehn Jahre alt war, erhielt er Unterricht in Harmonielehre und Kontrapunkt. »Aber es war nicht viel Glück in meinem übrigen Leben in jener Zeit. Ich litt unglaublich. Als ich sechzehn, siebzehn war, wurde ich wirklich krank. Ich musste ins Krankenhaus: Psychose.«

wei Jahre später ist Eliasson in Stockholm, wo er in Valdemar Söderholm seinen Mentor findet: »Er wies mir den Weg. Ich habe fünf Jahre mit ihm Kontrapunkt studiert. Bach, Bach, Bach – die höchste Energie, mit der Sie in Berührung kommen können.« Gleichzeitig komponiert er auch, aber »das war nichts: ›Musical Theatre‹, ›Kinetic Music‹, und ich wurde vertraut mit der Ästhetik der Klassiker und der Modernisten. Viele idiotische Versuche, aber ich musste es ja kennenlernen, damit vertraut werden, um zu wissen, was ich tue.«

Dann tritt er in die Kompositionsklasse von Ingvar Lidholm ein, einem der führenden Mitglieder der ›Monday Group‹, die die modernistische Ästhetik in Schweden fest im Griff hat, und »ich war schockiert, weil ich plötzlich jede Verbindung zur Musik in mir selbst verlor. Ich konnte dieser Erziehung nicht aus dem Weg gehen. Ich verstand diese Sachen, war auch sehr an der elektro-akustischen Musik interessiert. Doch gleichzeitig wusste ich, dass es das nicht sein kann. Also begab ich mich auf die Suche nach meinem ›musikalischen Alphabet‹.«

Anfang der siebziger Jahre findet Eliasson die Grundlage, von der aus er sich musikalisch bewegen kann. Bemerkenswert ist, dass seine Musik sich stilistisch nicht zuordnen lässt – ja, je intensiver man sich mit ihr beschäftigt, desto weniger. »Stilfragen haben keine Bedeutung. Solchen Ideen nachzuhängen hieße, jemand anderen fragen zu müssen, was ich tun soll. Und natürlich habe ich das oft erlebt: Wenn ich versuchte, der Musik meinen Willen aufzuoktroyieren, war es immer ein Desaster.«

Welcher Art ist Eliassons ›musikalisches Alphabet‹? »Es ist nicht Besonderes, absolut einfach, und darin Ausgangspunkt für alles. So einfache Modi wie: d-f-h-c-h-f-d, eine Art lydischer Modus; und: d-e-a-b-a-e-d, ein typisch dorischer Modus. Horizontal und vertikal. Beide Modi sind sehr nah miteinander verwandt; leicht, von einem ins andere zu wechseln. Für mich ist es weder lydisch noch dorisch, und in keinen anderen Verbindungen liegen so viele Möglichkeiten.

Ich weiß von keinen, die so viel Raum haben – es führt direkt in die Unendlichkeit. Zugrunde liegt eine starke Limitierung. Begeben Sie sich jedoch hinein und versuchen, es auszuschöpfen, so ist es absolut unbegrenzt. Je einfacher die Basis ist, desto mannigfaltigere Entwicklung ist möglich. Je komplizierter hingegen ein System ist, desto limitierter ist es zugleich. Es ist ein Paradoxon. Das tonale System kann extrem weit von seinem Fundament entfernen, aber es ist auch dann immer auf das Fundament bezogen.«

Die Kompositionen, die Eliasson seit Anfang der siebziger Jahre geschaffen hat, sind zum größten Teil Instrumentalwerke: Vier Symphonien (die zweite unvollendet) und weitere symphonische Stücke; Solokonzerte für Violine, Klarinette, Altsaxophon (für John-Edward Kelly), Bassklarinette, Posaune, Violine und Klavier, Fagott, Horn, Trompete (mit Schlagzeugensemble); mehrere Werke für Streichorchester; Kompositionen für Kammerensemble und vielfältige Kammermusik; außerdem, mit Gesang, das große Oratorium Dante Anarca über Dante und seine sechs Meister; sein jüngstes Werk Quo vadis?; die symphonische Bergbesteigung Canto del vagabondo; die Tranströmer-Vertonung Breathing Room – July usw.

Insgesamt bildet sein Œuvre eine der zentralen Gipfelleistungen in der großen symphonischen Tradition.
In einer solch substantiellen Musik wie der von Eliasson ist das Klangliche nur Gewandung eines tief einfach empfundenen, hochkomplex ausgemeißelten Bewusstseinsprozesses. Das Wesentliche enthüllen nicht die Klänge, es erschließt sich vielmehr in der Bündelung der Erscheinungsvielfalt im Bewusstsein des Hörers zu einem bezwingend zusammenhängenden Erlebnis. Diese Musik lebt nicht vom Klang, sondern durch den Klang.

Sie überfordert den mit seiner ganzen Aufmerksamkeit sich hingebenden Hörer nicht, sie hält ihn unablässig in Spannung, gönnt ihm keine Auszeiten. Unmittelbar nach Abschluss der Komposition gefragt, wie seine Vierte Symphonie sei, sagte Eliasson: »Sie nimmt keine Gefangenen. Sie packt den Hörer an der Gurgel und schleift ihn bis ans Ende mit sich.«
Eliasson hat tatsächlich eine neue Tonalität entdeckt (oder besser: ein bis dato unbekanntes, den Raum ins Unendliche erweiterndes Prinzip der Tonalität), welche die Geschlechterdualität und eindeutige Grundtonbindung des Dur-Moll-Systems trans-zendiert. Es ist eine Musik der puren Energie.

Bedingt durch die triangulatorisch generierte Harmonik (jede dritte Quint ist der nächste nahe Verwandte) ist sie wie beständig zwischen allen Welten. Sie ist stets in Kontakt und kontinuierlicher Wechselwirkung mit einander entgegengesetzten Gravitationszentren und ergibt sich nie der Anziehung eines bestimmten Zentrums. Mit traumwandlerischer Sicherheit nimmt sie immerzu die Flugbahn zwischen allen Attraktoren hindurch – wie ein ununterbrochener Akt der Befreiung.

»Das emotionale Kraftfeld ist das wichtigste – die energetische Wahrheit, das Sein hinter dem Schein der Dinge. Musik ist keine gegenständliche Sache, Klang hingegen schon. Deswegen gibt es heute auch so viele Klänge ohne Seele. Klang ist noch lange nicht Musik. Klänge kann man beschreiben, kategorisieren. Musik kann man nur erleben. Sie ist sogar über Sympathie und Antipathie erhaben. Sie steht über – oder bewegt sich jenseits von – Raum und Zeit. Wie könnte man das ausdrücken? Zeitlose Gegenwart, unendliche Präsenz – immer in Paradoxien, denn die Wirklichkeit ist inkompatibel mit dem Pragmatismus des Denkens. Nicht jeder versteht das. Man kann das gar nicht verstehen.«

Beim Hören der drei Werke auf dieser CD ist offensichtlich, dass Eliassons Stil sich über die Jahre verwandelt hat. Von der Vehemenz und den klanglichen Extremen in Desert Point ist es ein weiter Weg über Ostácoli (das heute schon eine Art Klassiker für Streichorchester ist) zur weitschwingenden, einen immensen, feinstgewobenen Spannungsbogen beschreibenden Innigkeit der Sinfonia per archi. Wobei unabsehbar ist, was als nächstes kommen wird. Denn jedes Stück ist ein eigenes Wesen, hat seine eigenen Forderungen. Wie ist der Prozess des Komponierens beschaffen?

»Am Anfang ist ein Stück immer persönlicher als zum Schluss. Denn ich versuche ja nur, dem Werden der Musik zu folgen, was ein objektiver Prozess ist. Ich bewege mich sozusagen unter der Haut der Musik. Wohin sie sich bewegt, hängt von ihr ab, nicht von mir. Nicht ich bin es, der zu einem Ende kommt. Es ist die Musik selbst, und ich versuche, meine Finger herauszuhalten.«

Die Intensität des musikalischen Prozesses in Eliassons Musik ist einzigartig. Es hat wohl damit zu tun, dass er nicht von sich spricht, sondern in Resonanz mit Kräften tritt, die größer sind als der Mensch. »Wer sind wir schon im Kosmos? Sogar ›Sandkörner‹ ist eine extreme Übertreibung. Aber vielleicht gelingt es dem einen oder anderen – die handwerklichen Voraussetzungen und die mentale Offenheit vorausgesetzt –, empfänglich zu sein für Energien und Intelligenzen, die in unserer kleinen Welt nicht vorstellbar sind, und diese hier zu manifestieren.«

Christoph Schlüren

Programm:

[01] Desert Point (1981)

[02] Ostácoli (1987)

[03-05] Sinfonia per archi (2001)

Arcos Chamber Orchestra
Violine I: Elissa Cassini (concertmaster) ∙ Andrew Eng ∙ Joe Puglia ∙ Shaw Pong Liu ∙ Megumi Stohs
Violine II: Jennifer Curtis (principal) ∙ Keats Dieffenbach ∙ William Harvey ∙ Ana Milosavljevic ∙ Marc Uys
Viola: Margaret Dyer (principal) ∙ Jason Fisher ∙ Stephanie Fong ∙ Todd Low
Violoncello: Dane Johansen (principal) ∙ Samsun van Loon ∙ Jeremiah Shaw
Kontrabass: Thomas van Dyck (principal) ∙ George Anthony Flynt

John-Edward Kelly, Dirigent

Pressestimmen:


Nov/Dez.2009

Sinfonia for Strings – Ostácoli – Desert Point 

Anders Eliasson is one of a body of European composers, mostly Scandinavian, who continue to operate at the forefront of large-scale symphonic music. He has written many concertos, four symphonies, and a number of pieces for string orchestra. Three of the latter may be heard on this release: the single-movement Desert Point (1981) and Ostácoli (1987), and the Symphony for Strings (2001), a 38-minute work in three connected movements.

Eliasson’s music is less about process than it is about mood. Utilizing a dense polymodal harmonic system, he creates an ongoing cycle of tension and release, usually with a melancholic strain. You might say he is a subdued Allan Pettersson. His polyphonic string writing (most notable in the lengthy first movement of the Sinfonia) expands and develops a tradition established by Bartók in his Music for Strings, Percussion, and Celesta—a work that turns out to be more influential than ever in contemporary music. Like several composers of his generation, Eliasson composed in a restrictive serial idiom until he embraced an albeit complex tonality. Nevertheless, Schoenberg is an influence, too; the long thematic lines within dense string textures are a dissonant reflection of the sound and soul of Transfigured Night.

The earlier works on this disc suggest Eliasson’s avant-garde background, with greater timbral variety in the string writing and sudden changes of mood, whereas the Sinfonia is overwhelmingly concerned with organic development. The journey through the Sinfonia’s yearning, heightened first movement via the restless second to a gentler but still troubled resolution in the third is prolonged and intense, but ultimately satisfying. Quite simply, this is a major work. There is no denying that it takes several run-throughs to become familiar with the musical terrain, partly because rhythm and pulse play a negligible role in the argument.

The composer was new to me when I received this CD, and my attitude to this program has changed with each listening: at first I found the early works harsh and the Sinfonia more involving, but subsequently the tautness and variety of the shorter pieces (particularly Ostácoli) functioned as a refreshing contrast to the emotional intensity of the longer work: a splash of cold Nordic water after an anxious, sleepless night.

Although this release is from a Spanish company, the Arcos Chamber Orchestra is based in New York. It displays the highest standards of ensemble, understanding, and commitment to the music, bringing out all possible light and shade under the sure guidance of John-Edward Kelly. (Kelly is a world-renowned classical saxophone soloist who has turned increasingly to conducting; Eliasson’s Saxophone Concerto was written for him.) The musicians are recorded closely but with a nice ambience and clear separation of the orchestral sections. (I have not heard the five-channel SACD version, but it sounds excellent in stereo.)

The CD booklet states that this is the premiere recording of the Sinfonia. As it was taped last year, their claim is incorrect: the enterprising cpo company released a recording from 2006 by the Swedish RSO under Johannes Gustavsson (reviewed in Fanfare 32:5). I was curious as to how different the Sinfonia would sound with full strings, so I purchased a copy. As anticipated, the string section of the Swedish orchestra produces a mellower cushion of sound, reinforced by a distant and reverberant recording. This certainly softens the work’s intensity, but the Arcos forces separate contrapuntal strands more clearly and make more of contrasts. One example is a passage in the second movement, where solo violin is pitted against a staccato accompaniment from the lower strings. With the large orchestra, it registers as a thinning out of the massive texture, whereas the chamber players add a lightness of touch and a subtle dance-like quality.

I definitely prefer the sharply nuanced Arcos, but matters are complicated by the couplings: the cpo Sinfonia comes with Eliasson’s Concerto for Violin, Piano, and Orchestra, another recent and significant work I am delighted to have discovered. For that reason, both discs are equally and seriously recommended.

Phillip Scott

Artikelnummer

Brand

EAN

Warenkorb

Die Website dient ausschließlich Demonstrationszwecken und ist mit der Neos Music GmbH abgesprochen.

X